Die Uffizien

Renaissance heißt Wiedergeburt, italienisch "rinascita". Das Wort bezieht sich auf die Antike und bezeichnet jene Epoche, die das Mittelalter überwunden und die Neuzeit eröffnet hat. Sie ging von Italien als Frührenaissance im frühen 15. Jahrhundert aus. Neue Taten im Bereich der Kunst waren die Erforschung der Sehgesetze, der Perspektive, des Raumes, der Farbigkeit, der Anatomie und ihrer formbildenden Anwendung in der Kunst. Besonders in der Hochrenaissance nach 1500 erforschten Ärzte und Künstler gemeinsam die Beschaffenheit des menschlichen Körpers. 

Brunelleschi, der Erbauer der Domkuppel in Florenz, erfand die Zentralperspektive. Man war stolz die Kunst mit der Wissenschaft in Einklang zu bringen. Die Kunst, gegen Mittelalter als Handwerk galt, wurde zu hohem Rang erhoben. Mit ihr stieg das Ansehen der Künstler in der Gesellschaft. Leonardo da Vinci sezierte Leichen, beschrieb und zeichnete Glieder und Muskeln in ihrer Tätigkeit. Anders jedoch als die Ärzte suchten die Maler und Bildhauer in der Anatomie den Wohlklang der Formen des menschlichen Körpers und das Bild einer makellosen Schönheit zu gewinnen. In der Antike war sie die herrlichste Wirklichkeit, die im Mittelalter wieder verlorenging. Zwei der herausragendsten Vertreter der Hochrenaissance sind Tizian und Michelangelo dessen bedeutendste Werke in der Galerie der Uffizien in Florenz zu bewundern sind.

Im Saal 25 befindet sich Michelangelos berühmtestes Tondo, das " die heilige Familie " darstellt und für die Heirat Angelo Doni mit Maddalena Strozzi gemalt worden war (1504-1505). Die dargestellte Figurengruppe könnte aus einem einzigen Marmorblock gemeißelt sein: das Schwellen der Muskeln, der Marmorglanz des Ikarnats, die metallisch Härte, unterstützen die plastischen Werte. Auf eine detaillierte Landschaftsschilderung mit Gebäuden wird verzichtet. Michelangelo konzentriert sich stets darauf, so auch hier, der menschlichen Gestalt das Antik-Heroische zu verleihen. Das Bild ist eine wichtige Vorstufe zur 1508 begonnenen Sixtinischen Decke. In der Verschränktheit und gleichzeitigen Geschlossenheit der Dreiergruppe konkurriert Michelangelo mit Leonardos Komposition, während der komplizierte Figurenaufbau und die helle körperlose Farbgebung Züge des Manierismus vorwegnehmen. Tizian gilt als der größte venizianische Künstler des 16. Jahrhunderts. Meisterlich versteht er es die leuchtenden Banalitäten von Giambellino und Giorgione aufs höchste zu steigern und gleichzeitig viel Gefühl für die förmlichen Ausdrücke der Florentiner an den Tag zu legen. So auch bei seinem wohlbekanntesn Bild "Venus von Urbino", das im Saal 28 zu finden ist. Nicht extreme Körperhaltungen und Bewegungen sind das Thema Tizians Venus, sondern Ruhe und "natürliche" Schönheit. Ein größerer Gegensatz zu Michelangelos Doni-Tono ist kaum denkbar. Auf einen Bett ruhend, einen Armreif tragend, mit dem Betrachter Blickkontakt aufnehmend, gebietet Tizians Akt weniger Distanz als Giorgiones Dresdner Venus.
Für formale Spannungen sorgen Gegensätze zwischen dem Hauptthema des Aktes und dem Nebenthema des Bildes im Bilde, zwischen dem glatten Inarnat und dem Faltenspiel des Lakens, sowie zwischen den Vertikalen des Hintergrundes und der Diagonalen des Aktes. Diese Spannungen, die typisch für Tizian sind, bilden jedoch nur eine Nebenstimme zum lyrischen Grundton.

Fabian Koch