Sitzen als Raumproblem
Unterrichtseinheit für die 6./7. Jgst

von Uli Schuster

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Raumgreifende Haltungen der menschlichen Figur stellen für Schüler nicht nur der Unterstufe ein erhebliches Problem dar. Neben einer Vermeidungsstrategie auf Seiten der Schüler lässt sich eine Strategie der didaktischen Hilfestellungen durch den Lehrer entwickeln. Für das Sitzen kann man aus der Parallelperspektive so eine Hilfe entwickeln. Beim Sitzen folgt der menschliche Körper den räumlichen Bewegungen des Stuhls: Die Oberschenkel knicken an der Hüfte senkrecht zur Achse des Oberkörpers nach vorne ab, die Unterschenkel bilden vom Knie an dazu wiederum einen rechten Winkel.
Wenn in der 6. Jahrgangsstufe die Regeln der Parallelperspektive am Würfel und Quader zeichnerisch beherrscht werden, sollte es möglich sein einen Stuhl nach diesen Regeln zu zeichnen, auf dem in einem zweiten Abschnitt der Aufgabe eine Figur gesetzt wird.
Aufgabe 1  Ein Lückenbild
Lückentexte kennt man Prüfungen, in denen ein Stoff vor allem über Stichwörter abgefragt werden soll. Zu diesem Verfahren -einem "Lückenbild" habe ich gegriffen, nachdem ich in einer 6. Klasse, trotz einiger Vorübungen etwa mit perspektivischer Schrift, auf erhebliche Probleme beim Zeichnen eines Stuhls gestoßen war. Einer anderen Klasse gab ich daraufhin ein Arbeitsblatt mit dieser Zeichnung, der Untersicht eines einfachen Stuhls, in der einige Linien fehlen, zum Ergänzen. Die fehlenden Linien zielen selbstverständlich auf ganz entscheidene Punkte der Konstruktion, und man muss schon aufpassen, wenn man nichts übersehen will. Nach diesem Arbeitsschritt erfolgte eine allgemeine Korrektur. Das kann man z.B. auch die Schüler selbst machen lassen, indem man die Arbeiten jeweils einem anderen Schüler zur Korrektur gibt und der ganzen Klasse eine richtige Lösung in Projektion präsentiert.
Aufgabe 2  Eine Sitzfigur
Das Arbeitsblatt war bereits so bemessen, dass der Stuhl für eine weiterführende Aufgabenstellung verwendet werden konnte. Das ergänzte Arbeitsblatt wird unter ein hochformatiges Blockblatt gelegt und so durchgepaust, dass der Stuhl etwa in halber Bildhöhe schwebt. Das Übertragen einer Zeichnung durch Pausen kann man den Schülern als ein übliches Kopierverfahren  erklären, das bereits lange vor maschinellen Kopierverfehren her in Malerei, Architektur und Grafik Anwendung fand.
Vorbereitende Überlegungen:
Wenn nun eine Figur auf diesem Stuhl Platz nehmen würde, dann wären ihre Schultern parallel zur Stuhllehne, die Oberschenkel parallel zur Sitzfläche, die Unterschenkel parallel zu den Stuhlbeinen. Durch die Untersicht würde die hintere Schulter tiefer als die vordere liegen und das hintere Bein tiefer als das vordere Bein hängen. Bei den Schuhen würde man den Blick auf die Sohlen haben.
In der Unterstufe baut man derartige Problemlösungen in eine erzählerisches Thema ein.

Beispiel: "Der fliegende Feuerstuhl"
Alexander Düsentrieb, ein entfernter Vetter von Daniel Düsentrieb, hat einen gewöhnlichen Küchenstuhl umgebaut, mit einem Antrieb zum Fliegen (Motor, Propeller, Düsen...) versehen, mit Vorrichtungen für eine weiche Landung, mit Rettungsausstattung bei Fluguntüchtigkeit (z.B. Schleudersitz, aufblasbarer Schwimmweste, Flugschreiber,), mit Navigationsinstrumenten und Steuerung, Windmesser, Kompass, Kommunikationseinrichtungen...
Mit diesem Fahrzeug hat er sich auf den Weg gemacht zu einem ersten Probeflug, zu einer Erdumrundung, zu einem Rekordweitflug für Küichenstühle als Eintrag in das Guinnesbook Of Records...
Schüler dieser Altersstufe sollten dazu jede Menge Einfälle beitragen können. Wer die Möglichkeit hat, könnte ihnen als Hilfestellung noch ein Foto anbieten, das eine Untersicht auf eine sitzende Figur auf einem Stuhl zeigt.

Schülerarbeiten
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Die Zeichnungen wurden gefertigt von Schülern 
der Klasse 6d / 1999/2000
Aufgabe 3  Ein Orchester in Gemeinschaftsarbeit
Bei aller Liebe zur Popmusik kann auch ein klassisch besetztes Synfonieorchester mit den vielfältigen Instrumenten und in der Perfektion des komplexen zusammenspiels für Zwölfjährige seine Faszination haben. Im Musikunterricht der Untrerstufe werden die Instrumente und die Sitzordnung des Orchesters besprochen, in Musikbüchern finden sich Abbildungen der Instrumente und der Haltung des Spielers beim musizieren. In einer 7. Klasse haben wir eine Liste der notwendigen Instrumente aufgestellt und jeder Schüler konnte sich daraus eines wählen. Wir versuchten eine Charakteristik der Instrumentalisten aufzustellen. Bläser haben dicke Hälse, runde Köpfe und Glatzen. Geiger haben schlanke und lange Finger. Bassisten müssen groß sein und haben lange Arme u.s.w.
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Da die meisten Mitglieder des Orchesters im Sitzen spielen wurden erst einmal Stühle gezeichnet. Dafür gab es ein Einheitsmaß (Länge und Stärke der Holme) und eine perspektivische Vorgabe (Verkürzung). Diese Stühle wurden von unten nach oben gezeichnet, d.h. auf den 'Grundriss' wurden die vier Beine gestellt, die hinteren doppelt so lang wie die vorderen, und auf halber Höhe wurde die Sitzfläche ergänzt.
Bei der fertigen Konstruktion wurden die sichbaren Kanten mit schwarzem Stift nachgezogen, denn die sitzende Figur sollte über den Stuhl als Pause auf eigenem Blatt entworfen werden. 
Warum so umständlich?
Die Figur verdeckt einen großen Teil des Stuhls, was zu einer unschönen Überlagerung von Linien und zu einer Radierorgie führen würde. Das Pausen und die zeichnerische Montage sind Abstraktionsvorgänge, die aus dem spontanen Zeichenvorgang einen technisch zu planenden Ablauf machen. Außerdem brauchen wir später die Pause noch einmal, wenn sich nämlich herausstellt, daß auf der linken Seite des Orchesters die Sitzflächen der Stühle nach rechts schauen und sie auf der rechten Seite nach links orientiert sind. Nur so steht der Dirigent auch perspektivisch im Zentrum des Orchesters.
Erst wenn die sitzende Figur fertig gezeichnet ist, wird der Teil des Stuhls dazugepaust, der sichtbar bleibt.
Letzter Schritt: Die Collage
Die fertigen Zeichnungen aller Musiker haben wir auf einer Platte ausgelegt um uns einen Überblick über das Orchester zu verschaffen. Die Sitzordnung haben wir dem Musikbuch entnommen; erste Geige, zweite Geige Violoncelli, Bässe Bläser, Schlagzeug... Dabei hat sich herausgestellt, dass einige Schüler ihre Zeichnung spiegeln mußten. Außerdem fehlten die stehenden Figuren, der Dirigent, die Bässe., die Schlagwerker. Das waren Spezialaufträge für besonders zügig und gut arbeitende Schüler.
Als Technik für das Gemeinschaftswerk legte ich die Collage fest. Mit der Decupiersäge hatte ich aus einem dicken Stapel Tonpapier die Stühle ausgesägt. Für die Figuren benötigten wir Tonpapier in nur wenigen Farben, Schwarz und Grau für die Anzüge und Kleider, Weiß für die Hemden und Blusen und eine Hautfarbe für Hände und Köpfe, Gelb und Braun für die Instrumente und Haare. Durch Pausen übertrugen die Schüler ihre Zeichnungen auf das Tonpapier und schnitten die Teile aus. Damit nichts verloren ging, bewahrte jeder seine Teile in einem Kuvert auf.
Als Bildgrund nahmen wir eine Sperrholzplatte, auf der mit Tapetenkleister zuerst die Stühle aufgeklebt wurden. Auf die Stühle konnte dann jeder Schüler seine Figurteile und schließlich die Instrumente kleben
Aufgabe 4  Auf dem Sofa vorm Fernseher
Ein anderer Zugang zum Sitzen wurde über eine Vorlage von drei Sofas aus einem Möbelkatalog hergestellt. Die Schüler konnten die kopierte Vorlage unter ihr Zeichenblatt legen und pausen. Neben den sitzenden Figuren, deren Haltung wir diesmal an einem Foto studierten, galt es bei dieser Aufgabe um das Bewältigen einer Zimmeransicht, bei der das Sofa im Mittelgrund, ein Fernsehapparat im Vordergrund und eine Zimmerrückwand im Hintergrund dargestellt werden sollte. Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund als gestaffelte Bildpläne haben wir uns im Vorfeld der Aufgabe an mehreren Gemälden von Bruegel angesehen (Heimkehr der Jäger, Sturz des Ikarus). Das Fluchten der Raumlinien im Zimmer wurde nicht thematisiert, der Bildaufbau wurde vielmehr in drei horizontalen Streifen vorgegeben. In Denk- und Sprechblasen sollte der Inhalt der gesehenen Sendung wiedergegeben werden.
Solche Vorgaben schaffen zahlreiche Raumprobleme, für die die Schüler individuelle Lösungen suchen sollen: 
  • In welche Richtungen verlaufen die Achsen der Beine und Füße bei den Sitzfiguren? 
  • Wie fügt sich der Kasten des Fernsehers in das Bild ein? 
  • Wie würde sich ein Teppich in so ein Raumgefüge einpassen lassen?
  • Kann man durch ein Fenster oder eine Türe im Hintergrund eine weitere Raumzone erschließen?
Schülerarbeiten aus Klasse 6c/2002
Literatur und Netzquellen