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Was macht ein Werk zum Kunstwerk?
Betrachtungen zu einem Objekt von Marcel Duchamp: "Fountain" von Uli Schuster Dez. 2000 |
Die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jhs revolutionieren das Verständnis von Kunst. Die Generation der Impressionisten tritt ab. Cezannes Tod 1906 bezeichnet einen der markanteren Wendepunkte. Im Jahr davor tritt auf dem Pariser Herbstsalon eine Gruppe junger Maler mit einer neuen Malerei in Erscheinung, die wegen ihrer grell-bunten Farbigkeit mit dem Titel "les fauves", die Wilden tituliert werden und den Expressionismus begründen. Leitfigur der Gruppe ist Henri Matisse. 1907 arbeitet ein in Paris lebender Spanier an einem Bild, das den Beginn einer neuen Epoche darstellt, Picasso, seine "Demoiselles d'Avignon" und der Kubismus. Zwischen 1913 und 1917 experimentiert ein Franzose mit "Plastiken", die er aus Gebrauchsgegenständen montiert, bzw im Kaufhaus erwirbt, Marcel Duchamp. Auch er kann als Beispiel für eine Bewegung genommen werden, den Dadaismus. Zwischen 1910 und 1915 reduzieren Kandinsky, Mondrian, Malewitsch und etliche Künstler in ihrem Umfeld zunehmend ihre Malerei auf eine ungegenständliche Formen- und Farbensprache zur Abstrakten Malerei. .Jede der genannten Richtungen zeichnet sich dadurch aus, daß sie traditionelle Glaubenssätze des Kunstverständnisses in Frage stellt. Ein Brennpunkt ist das traditionelle Werkverständnis. |
1. These
Der Begriff des Kunstwerks impliziert seit dem 14. Jh ein absichtsvolles und aus außerordentlicher Vorstellungskraft geplantes, in einem edlen Material, eigenhändig und durch kunstfertige Beherrschung von Werkzeugen und Verfahrensweisen zu einem historischen Zeitpunkt realisiertes und in seiner Fertigung abgeschlossenes Produkt eines ebenso ingeniösen wie kundigen = ausgebildeten und erfahrenen Menschen und Autors (Meisters, Urhebers, Schöpfers). |
2. These
Ein Kunstwerk unterscheidet sich von einem Werk anderer Art durch eine besondere Weise des Gebrauchs und der Wertschätzung. |
3. These
Zum Kunstwerk wird ein Werk oder ein Objekt nicht durch einen obskuren oder magischen Akt der 'Ernennung' kraft der institutionellen Kompetenz eines Urhebers. Der Prozeß der Wertzumessung im System von Kunst ist vielmehr ein gesellschaftlicher Akt, an dem der Künstler, aber auch der Kunstmarkt, die Kunstwissenschaft, Kuratoren und Publizisten und das Publikum mitwirken. So ist eine Dimension des Werks auch sein Rang, den es im Lauf seiner Rezeptionsgeschichte als Kunstobjekt erwirbt. |
4. These
Die Wertschätzung des Originals sagt uns: Zwei Dinge können materiell völlig ununterscheidbar und gleich sein und doch messen wir ihnen völlig unterschiedlichen Wert zu, bezeichnen das eine z.B. als ein Kunstwerk, das andere z.B. als eine Fälschung, eine Kopie, ein Ready-made, oder einen simplen Gegenstand. |
Zurück zum Werkbegriff
Wir gingen bisher aus von der Bezeichnung 'Werk'. Als Kunstwerk erwarten wir ein von der Hand des Künstlers in einem edlen Material mittels kunstfertiger Beherrschung von Werkzeugen und Verfahrensweisen hergestelltes Produkt. Das scheint hier nicht der Fall zu sein. Der Text im Buch gibt uns Aufschluß, daß Duchamp "aus der Industrieproduktion stammende Gebrauchsgegenstände" nahm. Edles Material und kunstvolle Verarbeitung wollen wir nicht bestreiten, wenn auch der Kenner Meissner- oder Nymphenburger Porzellans hier sicher auf erhebliche Unterschiede aufmerksam machen würde. Mithin fehlt zum 'Werk' nicht jede, aber ganz eindeutig eine wesentliche Bestimmung. Das Urinal ist nicht Duchamps Werk, sondern vielleicht ein Werkstück von Villeroy & Boch oder einer anderen einschlägigen Firma.Welchen Sinn kann es machen, wenn in unserem Schulbuch, wie auch in anderen einschlägigen Texten, im Zusammenhang mit Duchamps Urinal von einem >Kunstwerk< gesprochen wird? Ist Duchamps 'Werk' das Pseudonym, mit dem er ein Pissbecken als Kunstobjekt formatierte? Ist sein 'Werk die Erfindung eines neuen Namens, einer 'neuen Idee' für ein altbekanntes Ding? Könnte er sich den Begriff Ready-made patentieren lassen, wie Yves Klein seine blaue Farbe? Könnte ich eine Schallplatte von Peter Kraus als mein 'Werk' ausgeben, wenn ich sie mit 'Schusi 2000' signierte? Eine Schöpfung? Das Buch sagt, daß Duchamp Gegenstände "durch ihre Ausstellung zu Kunstwerken erklärte". Wenn das Urinal denn ein Kunstwerk ist, so bedurfte es einer Erklärung, um es dazu zu machen, und vermutlich gilt diese Erklärung nicht der Gattung Urinal insgesamt, sondern dem Individuum, dem Duchamp als Zeichen seiner Adelung und Weihe in einem Akt der Transsubstanziation (Geheimnis der Eucharistie, Letztes Abendmahl) sein neues Ego, und als äußeres Zeichen, ein Signet und einen Sockel verpaßt hat. Was wir an der Abbildung nicht lesen konnten, ist in der Tat ein Signet von Duchamp und liest sich "R. Mutt 1917". Hätte er es nicht gekennzeichnet, so könnten wir heute nicht sagen, welches Urinal nun das vermeintliche Kunstwerk ist und welches nicht. Wir hätten möglicherweise ein gewöhnliches Urinal für Duchamps Fountain gehalten. Wir lernen daraus, daß wir unterscheiden müssen zwischen Kunstwerken, die ein Künstler hergestellt hat, und Objekten, die er dazu ernannt hat. Wir müssen nun weiter fragen, ob wir nicht bei unserer Beschreibung oben dem Charakter des Kunstwerks völlig äußerlich geblieben sind. Wir haben das Objekt zwar beschrieben, wie wir auch andere Werke der Kunst beschrieben haben, den Apoll vom Belvedere oder den David von Michelangelo. Ganz offensichtlich sind es jedoch nach Duchamp nicht die objektiven Eigenschaften des Werks, die es zum Kunstwerk machen, sondern ein Status, der einem Objekt verliehen wird, vergleichbar einem Rang, einer Auszeichnung, einer Ernennung, einer Beseelung, die das Objekt in seinen materiellen Eigenschaften äußerlich unberührt läßt, ihm aber eine andere Funktion und Sehweise zuweist. Der Vergleich mit einer dienstlichen Beförderung reizt: Der Schulleiter ernennt einen Oberstudienrat zum Seminarleiter. Dadurch verändert dieser sich in der materiellen Substanz nicht, aber man betrachtet ihn anders, richtet andere Erwartungen an ihn. Natürlich verändert er sich nicht nur im Ansehen, sondern auch im Wert, was seine Frau am Gehaltszettel spürt...Ein Schulleiter kann dieses tun, er hat dazu eine begrenzte amtliche Befugnis, begrenzt deshalb, weil er nicht seinen Nachbarn, einen patenten, gestandenen Mann und Skatbruder zum Seminarleiter ernennen könnte. Ein Künstler jedoch hat kein Amt und keine Befugnis. Ein Uhrmacher kann nicht einen Dosenöffner zur Taschenuhr erklären ohne ihm ein Uhrwerk einzupflanzen. Hat Duchamp dem Urinal eine Kunstseele eingehaucht? Wenn er dies je getan haben sollte, so ist es doch in der Literatur über die Ready-mades nirgendwo als ein öffentliches Ritual, etrwa als "Kunsttaufe" beschrieben, er müsste es also heimlich, unter Ausschluss von Öffentlichkeit getan haben. Es bleibt aber in diesem Zusammenhang die Frage: Woran erkennen dritte dieses durch eine 'Kunstseele' veredelte Ding, wenn die Veredelung nicht bezeugt, dokumentiert, zertifiziert oder zumindest öffentlich behauptet worden wäre? Wir kennen eine Klasse von Gegenständen, denen wir besonderen Wert zumessen, weil sie uns erinnern an Personen oder Ereignisse, die uns wichtig sind. Die Jeans von James Dean, ein Schweißtuch von Elvis, das Kleid von Marilyn Monroe, in dem sie für Kennedy gesungen hat. Dafür zahlen manche Leute viel Geld. Duchamp hat sein Urinal nicht einmal benützt. Das kann es also auch nicht sein, daß er das Ding durch Hinterlassen persönlicher Spuren des Gebrauchs veredelt hätte, wie das z.B. auch für einige der Objekte von Beuys gilt, die als Relikte von Happenings heute im Kunstmuseum bewahrt werden wie Souvenirs. Oder war Duchamps Einreichung der "Fountain" bei der Ausstellung der Independent Artists 1917 ein Happening, und das eigentliche Kunstwerk ist nicht das Urinal sondern war ein historisches Ereignis? Duchamp signierte nicht mit seinem Namen. Die Differenz zwischen Mutt und Mott vermag ich nicht aufzulösen, vielleicht war der Firmenstempel schlecht lesbar oder es verbirgt sich hinter dem Buchstabentausch ein geistreiches Wortspiel? Die Holländer sagen "ik mut", wenn sie mal müssen. Duchamp hatte eine dokumentierte Vorliebe für solche Späße. So übersetzt man seinen Begriff Ready-made auch mit dem phonetisch gleichen ready maid = bereites Mädchen. Eine Signatur verlangt rechtlich gesehen nach Eigenhändigkeit oder Autorisierung, sonst ist sie eine Fälschung. Duchamp benützte auch in anderen Fällen nicht seinen eigenen Namen sondern erfand ein Pseudonym. Im wissenschaftlichen Bereich würde man das, was Duchamp gemacht hat, als Plagiat bezeichnen. Wenn einer ein Werk eines anderen für sein eigenes Werk erklärt, ist das der Tatbestand des Plagiats. Das vermeidet man, indem man einen anderen Urheber zitiert. Kann das Urinal als ein Zitat durchgehen, etwa in dem Sinn, wie Manet in seinen "Frühstück im Grünen" Raffael und Michelangelo zitiert hat? Könnte die Firma Mott Works als Hersteller und Urheber des Objekts, aus dem Duchamp und das Kunstsystem ein Kunstobjekt gemacht haben, ein Urheberrecht am Urinal einklagen und die ausstellenden Museen auf Zahlungen verpflichten? Könnte sich bei der Erhebung von Steuern das Finanzamt, oder bei Export der Zoll auf den Standpunkt stellen, dass die Millionen, die ein Käufer in eine Replik von Fountain investiert hat, wie Sanitätsware zu versteuern sind oder als Kulturgut mit deutlich geringeren Abgaben zu belegen wären? Ein Objekt der Kunstgeschichte
Das Objekt "Fountain" entstand 1917 für die "I. Ausstellung der Independents" in New York, deshalb auch die englische Schreibweise. Duchamp war bereits 1913 zum Star der 'Armory Show' in New York aufgestiegen mit seiner Malerei "Akt eine Treppe herabsteigend". Dasselbe Bild, das in Amerika zum kubistischen Paradesück wurde, zog er in Paris von der gemeinsamen Ausstellung der Kubisten zurück, nachdem einige der maßgeblichen Veranstalter insbesondere im Titel des Bildes eine futuristische Verspottung kubistischer Ideen beanstandet hatten. Für die Ausstellung der Unabhängigen in New York war Duchamp für eine Aufnahmegebür von 1$ und einem Jahresbeitrag von 5$ Mitglied der 'Society of Independent Artists' geworden und in den Vorstand gekommen. Ziel der Gemeinschaft war eine jährliche Ausstellung für die Mitglieder, die ohne Jurierung zwei Arbeiten ausstellen konnten. Genau an dieser Stelle erweist sich die Rede, Duchamp hätte Fountain "durch Ausstellung zum Kunstwerk erklärt" als sehr verkürzte und irreführende Aussage. Im Grund war der Verzicht der Society of Independent Artists auf eine Jurierung der Einreichungen zur Ausstellung die Voraussetzung dafür, für einen Betrag von 6 Dollar zwei beliebige Objekte einzureichen, gleichzeitig der Verzicht darauf Kunstwerke von Nichtkunst zu unterscheiden. Duchamp hat nichts weiter getan als alle anderen 1200 (!) Einreicher zur Ausstellung. Auch sie mussten keine Zauberformel über ihren Werken sprechen um sie Ausstellungswürdig zu machen, und allen Berichten nach war die Exhibition ein erwartungsgemäßes buntes Sammelsurium. Man könnte also auch sagen, die Society hat ihre Mitglieder dazu autorisiert, gegen Zahlung von 6 Dollar zwei beliebige Dinge zu Kunstwerken zu erklären. Nerdinger schreibt:"Duchamp... stellte sein Readymade "Springbrunnen" 1917 in New York aus." ...."Er löste damit einen Sturm der Entrüstung aus."(Perspektiven der Kunst S.277). Auch hier verkürzt die Darstellung und erweckt falsche Vorstellungen. Duchamp, so schreibt Tomkins (s.u. Literatur), ließ das Objekt von einer Freundin am Grand Central Palace, dem Ort der Ausstellung, anliefern. Aber aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass es letztlich in der Ausstellung nicht zu finden war. Die "Entrüstung" hatte demnach verschiedene Dimensionen: Eine öffentliche Entrüstung des Ausstellungspublikums über ein als Kunst deklariertes Sanitärobjekt fand nicht statt, weil das Objekt nicht ausgestellt wurde und auch nicht im Katalog vermerkt war, also auch nicht vermisst werden konnte. Duchamp selbst spielte den Entrüsteten, weil die Society sich nicht an ihre eigenen Regeln hielt und plötzlich vorgab, was ausgestellt werden konnte und was nicht. Einige für die Hängung verantworetliche Mitglieder der Society waren möglicherweise in ihrer Künstlerehre getroffen und entrüstet über die Zumutung an sie, ein "Badezimmerzubehör" neben Objekten der Malerei und Skulptur in einer erklärten Kunstausstellung präsentieren zu sollen. Wenn jemand Witze über mich macht, dann finde ich das auch selten lustig. Die Zeitschrift 'The Blind Man' gab sich in ihrer zweiten und letzten (!) Nummer empört über den Fall und pochte auf die Regularien der Teilnahme: "They say any artist paying six dollars may exhibit." Mit dem Pseudonym R. Mutt verschleierte Duchamp seine 'Autorenschaft'.
Jedenfalls war "Fountain" in der Ausstellung nicht zu sehen und auch im
dazu erschienenen Katalog nicht erwähnt. Um diese Tatsache herum wurden
durch den Freundeskreis Duchamps unterschiedlichste Gerüchte in die
Welt gesetzt, aus denen die Kunstgeschichte die Legende eines 'Skandals'
gesponnen hat. Duchamp nahm den Verstoss gegen die Regeln der Independents
ostentativ zum Anlass, seinen Austritt aus der Society zu erklären.
Zum "Fall" wurde die Angelegenheit erst durch eine Zeitschrift "The Blind
Man", die von Duchamps Freunden herausgegeben wurde und in der man die
von Stieglitz gemachte Fotografie (s.o.) veröffentlichte.
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Quellen
http://www.toutfait.com/issues/issue_3/Collections/rrs/shearer.htm
"Marcel Duchamp", Biografie von Calvin Tomkins, München 1999 http://www.mann-portal.de/publikationen.html
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