Eine Interpretation
fragt nach Botschaften, die ein Bild transportiert. Manche
scheinen mehr im Vordergrund zu stehen und lassen sich leichter herauslesen.
Das betrifft insbesondere solche, die sich aus dem sachlichen Bestand
erschließen lassen, aus dem Bildtitel, dem Format, Bildaufbau
(Geometrie und Farbe), der Dramaturgie (Personen, Handlungen, Orte,
Ausstattung...). Damit erschließt sich oft schon ein guter Teil
der Botschaft, die das Bild übermittelt. Die Erschließung
des sachlichen Bestands hat für uns in der Schule dort ihre Grenzen,
wo wir das Werk nur über Abbildungen studieren können, bestenfalls
im Museum ein Ausstellungsstück in Augenschein nehmen können.
Maltechnik, Materialien erschließen sich so nur sehr begrenzt.
Interpretationen
sind diese Bezeichnung nicht wert, wenn sie nicht Sachverhalte mit
einbeziehen, die der sachliche Bestand nicht so ohne weiteres hergibt,
z.B. Gründe und Umstände für die Entstehung des Bildes,
Provenienz: z.B. Auftrag, Intentionen von Auftraggeber und
Autor..., Rezeptionsgeschichte etc. müssen wir uns über
Literatur und Quellenstudium erschließen. Es wäre
eine naive Vorstellung von Interpretation, wenn man glaubte dass
es darum geht, ins Bild irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen
Dinge hineinzulesen. Bilder, denen wir im Museum begegnen
können, haben in der Regel eine Phase der Forschung durchlaufen.
Der Besuch einer kunstwissenschaftlichen Bibliothek, ein Blick ins
Literaturverzeichnis eines Ausstellungskatalogs könnte eine
Vorstellung davon geben, was Quellenstudium in Bezug auf ein einzelnes
Bild leisten kann. Die Staatliche Graphische Sammlung München
hat zu dem hier verhandelten Bild "Italia und Germania"
von Johann Friedrich Overbeck im Jahr 2002 eine eigene Ausstellung
gemacht und eine Schrift (Katalog mit 112 Seiten)
herausgegeben. Aus 15 Museen wurden dazu Exponate entliehen. Der
Katalog enthält 40 Bilder, auf die sich die Aussagen beziehen.
Das Literaturverzeichnis zum Katalog und zur Einleitung listet 57
Schriften auf. Drei Autoren bestreiten den Katalog und die begleitenden
Aufsätze: Frank Büttner betitelt seinen Aufsatz "Bilder
als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen
Aufklärung und Romantik in Deutschland" (22
Seiten, 89 Anmerkungen/zitierte Quellen), und Brigitte Heise
titelt: "Sulamith und Maria - ein Beispiel romantischer
Symposie" (8 Seiten, 18 Anmerkungen/zitierte
Quellen). Gisela Scheffler zeichnet verantwortlich für
den Katalog, der die Exponate in Bildern wiedergibt und jede Abbildung
ausführlich kommentiert.
Das Studium
dieser im Katalog ausgebreiteten Recherchearbeit zeigt, dass ein
erster Eindruck von einem Bild im Betrachter im besten Fall etwas
auslösen kann, was die inhaltlichen Dimensionen eines solchen
Objekts nur recht oberflächlich streift. Und selbst eine formale
Untersuchung kann nur ein Einstieg in eine Auseinandersetzung mit
dem Objekt sein. Umso besser, wenn der erste Eindruck in uns bereits
auf positive Gefühle trifft, wenn die formale Analyse Fragen
aufwirft oder gar eine intellektuelle Herausforderung weckt, die
in tiefere Schichten von Verständnis eines Werks eindringen
möchte.
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Ein "Freundschaftsbild" |
1808 nahm Overbeck ein
Kunststudium an der Akademie Wien auf, wo er sich mit Pforr anfreundete,
der dort bereits studierte. Zusammen mit anderen Studenten empfanden
sie die klassizistische Doktrin der Akademie
als Gängelung und rebellierten gegen ihre Lehrer, die Lehrinhalte
und die Methoden. Während die Akademie an der klassischen Antike
orientiert war, suchten sich die Rebellen ihr Ideal in der Renaissance.
Pforr sah sein Vorbild in Dürer, Overbeck in Raffael.
In der Verschmelzung von 'germanischen' und 'italienischen' Auffassungen
glaubten sie ein neues, zeitgemäßes Kunstideal
entwickeln zu können. Die Gründung einer Malergilde
nach mittelalterlichem Vorbild >Lukasbund< genannt,
gab der kaiserlichen Akademie einen bequemen Vorwand die Rebellen
1809 auszuschließen. Der in Wien geschlossene Bund ist charakterisiert
durch "Sendungsbewusstsein, Erlösungshoffnung und Heilserwartung...ganz
auf die Kunst ausgerichtet. Die Künstler selbst bezeichneten
ihren Bund als Orden." (Katalog S.20)
Zu viert machten sie sich 1810 nach Rom auf, wo sie in einem ehemaligen
Kloster (San Isidoro) Wege suchten, um in benachbarten Zellen
einen intensiven gedanklichen Austausch zu pflegen und ihre Ideale
gelegentlich auch in gemeinsamen Arbeiten zu realisieren. Der Bund
signalisierte auf diese Weise auch eine von allen geteilte Basis
in religiöser Hinsicht. "Wie Apostel Christi
wollten sie sein.. und sich darauf gefasst machen, Märtyrer
der Kunst zu werden." (Katalog S.21)
Freundschaft ist für die Romantik insgesamt ein hochgestecktes
Ideal. Um ihren Bund nach außen hin sichtbar zu machen, ließen
sich die Freunde lange Haare wachsen und trugen mittelalterlich
anmutende Gewänder. Ob sie ihrem Bündnis selbst den Namen
gaben oder ob sie ihn in Rom als Spitznahmen erhielten scheint mir
nicht ganz geklärt. In der Kunstgeschichte findet man sie heute
noch als die >Nazarener<.
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"1811
beschlossen Pforr und Overbeck, sich gegenseitig Freundschaftsbilder
zu malen zu der von Pforr erdachten Geschichte >Sulamith
und Maria<."
(Katalog S.93) Abbildung links zeigt
eine Zeichnung Pforrs, mit der er Johann Friedrich Overbeck
als Johannes (dessen Namenspatron) darstellt. Das ist eine
Studie, die er für sein Freunschaftsbild (unten
links) verwendet, wo Johannes der Täufer (linkes
Bildfeld, rechter Bildrand) auf Maria mit dem Jesuskind
trifft. So etwa gekleidet werden die Nazarener in Rom herumgelaufen
sein. Da sich ihre Freundschaft im wesentlichen auf ihre gemeinsamen
Ziele, Ideen, >Ideale< in Beziehung auf eine
Erneuerung der Kunst bezog entwickelte Pforr eine Bildidee,
die an Dürers Melencolia angelehnt war, Dürers Einzelfigur
auf ein Paar erweiterte. "Die beiden Mädchengestalten
sind wie Dürers Melancholie von allegorischen
Gegenständen der Tugenden umgeben, zu welchen die wahre
Freundschaft die Partner führt."(Katalog
S.51) Dürers schlafender Hund (Treue)
ist aufgewacht, Schwert und Schild (Kampfbund)
liegen am Boden vor den Figuren, der Beutel der Melencolia
liegt offen da und ist gemeinsamer Besitz. Nach oben hin rahmen
von li. nach re. eine Kirche, die aufgehende Sonne ein auffliegender
Adler und eine Abendmahlszene die Mauer vor der das aneinander
geschmiegte Paar sitzt. Laut Katalog haben Pforr und Overbeck
ihre an Dürer und Raffael angelehnten Kunstideale auch
als ihre 'Bräute' bezeichnet. Somit spielt in
den allegorischen Figuren auch ein Idealbild von Frau eine
gewisse Rolle.
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"Ebenso wie sie
sich selbst bedeutsame programmatische Namen (Albrecht für
Pforr, Johannes für Overbeck) verliehen hatten, so benannten
sie nun ihre erträumten Bräute. Pforr nannte die seine
Maria...sie war zugleich Gottesmutter und er gedachte dabei der
Madonnenbilder Dürers. Overbeck wählte den Namen Sulamith...Sulamith
war für Overbeck die Repräsentantin der Kunst, die Gott
auserwählt hat, um seine Herrlichkeit auf Erden sichtbar zu
machen...Raffael, Overbecks großes Vorbild, hatte für
den jungen Romantiker diese höchste Stufe der Kunst erreicht...Drei
Jahre nach den ersten eher scherzhaften Gesprächen über
ihre Bräute überreichte Franz Pforr dem Freund ein Büchlein
mit dem Titel >Sulamith und Maria< ein Märchen, das er
ganz dem Stil der Künstlerviten des Vasari, den Texten von
Wilhelm Wackenroder und der legenda aurea anlehnte." (Katalog
S.39) So wie in Pforrs Frauenbildern Dürers Madonnen
wieder auferstehen, feiern in Overbecks Frauengestalten Raffaels
Madonnen eine Wiedergeburt.
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Für die Interpretation
nicht unerheblich ist der Zeitraum der Entstehung von
Overbecks Bild. Während Pforr bereits ein Jahr später
an Tuberkulose stirbt aber seine Version zu "Sulamith
und Maria (links) fertrigstellt, kommt
Overbeck bis zu Pforrs Tod 1812 über Zeichnungen (rechts
ein Karton der Version 1812) nicht hinaus. Pforrs Bildchen
hat ein kleines Format von 34x32 cm und ist in Öl auf
Holz gemalt. Demgegenüber hat Overbeck mit seinem Karton
(Kohle und Kreide aus 6 Blättern zusammengesetzt)
ein größeres Bild in Planung im Format 91x102 cm.
Der gemeinsamen Idee entspricht die Tatsache, dass Overbeck
eine Zeichnung von Pforr als Grundlage für sein eigenes
Bild wählt. Allerdings blendet er vieles aus, was bei
Pforr an Dürer angelehnt ist. Die Accessoires insgesamt
hält er für verzichtbar, die räumliche Situation
konzentriert er auf den Nahbereich, dafür intensiviert
er die Figuren in ihrer Pose der Zuwendung und in allen Details
von Köpfen, Händen und Gewändern. Aber dann
lässt Overbeck 1812 die Arbeit liegen. Der Tod des Freundes
raubt dem Freundschaftsbeweis erst einmal die Motivation.
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Erst 1815 entsteht
ein weiterer Karton, der nun auch in der Bogenöffnung
hinter den Figuren rechts eine gotische Stadt und links eine
romanische Kirche andeutet. Die neuerliche Motivation zur
Weiterarbeit beschreibt Overbeck in einem Brief, den der Katalog
zitiert: "...ich werde wahrscheinlich die beiden
Bräute malen, die ich einst...für unseren seligen
Bruder Pforr gezeichnet habe. Ein gewisser Hr. Wenner...hat
(bei) mir dieses Bild sammt einem gleich großen Gegenstücke
bestellt... ich denke...die himmlische Liebe vorzustellen
als Gegensatz der irdischen..."
(Katalog S.59) Das gibt dem Inhalt des
Bildes eine völlig neue Wende und zeigt damit, wie offen
für Vieldeutigkeiten Bilder auch in den Augen ihrer Hersteller
sein können. Der Auftraggeber nimmt die beiden Frauengestalten
als ein Sinnbild von inniger, körperlicher Zuwendung
wahr, die keusch bleibt aber doch um die körperliche
Nähe, Vereinigung, Zärtlichkeit, nicht herumkommt.
Die Zeichnung in diesem Karton besticht dementsprechend durch
eine Intensität im Strich, die sich hier in der Abbildung
kaum reproduzieren lässt. Auch der Katalog greift an
dieser Stelle zur Ausschnittvergrößerung, die spürbar
macht, wie geradezu zärtlich der Strich die Zeichenfläche
berührt, wie weich einerseits die hellen Töne erzeugt
sind und wie nachvollziehbar der Druck in den dunklen Partien
der Modellierung gesteigert wird.
Die Idee von einem
Gegenstück, wie immer das gemeint war als himmlische
oder als irdische Liebe, lässt Overbeck schließlich
auch fallen. Er hat dazu offenbar nicht einmal bildhafte Ideen
entwickelt.
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1828 erst beendet Overbeck
die gemalte Fassung, befeuert durch den Auftrag und den damit in
Aussicht gestellten Ankauf, der über mehrere Stationen die
Pinakothek in München erreicht. Die Fertigstellung des lange
Zeit nur zeichnerisch konzipierten Bildes ist durch andere Auftragsarbeiten
unterbrochen. Eine Vorzeichnung und Untermalung, die auf der Leinwand
durch Infrarot-Reflektographie sichtbar gemacht werden kann zeigt,
dass der rahmende Bogen über den Figuren noch zu Anfang der
Gemäldefassung im Konzept enthalten war, dann aber der jetzt
sichtbaren Öffnung weichen musste, die dem Hintergrund mehr
Gewicht gibt. Mit dieser veränderten Situation erklärt
sich auch der nun gewandelte Bildtitel >Italia und Germania<,
die durch die Farbgebung in den Haaren und Gewändern der Frauen
klarer wird als in der Zeichnung. Bei einem Freundschaftsbild würde
man annehmen, dass es eigenhändig gemalt ist. Den Auftrag kann
man auch als 'Werkstattbild' sozusagen erledigen. In der Tat scheint
zumindest die Untermalung von Overbecks Schwager Theodor Rehbenitz
gemalt zu sein, der auch vom fertigen Bild 1835 eine Kopie fertigte,
die heute in Dresden hängt. Rehbenitz ist wohl auch ein Teil
der Architektur im Bildhintergrund zuzuschreiben (das Kloster links
im Bild kommt so bei Overbecks Kartons nicht vor, dazu existiert
allerdings eine Studie von Rehbenitz's Hand).
Overbeck in einem Brief
an den Auftraggeber des Gemäldes Friedrich Wenner: "...Was
nun die weitere Ausbildung der dem Bild zu Grunde liegenden Idee
anlangt, so wird es Sie wohl überhaupt nicht wundern, daß
nach so vielen Jahren aus den beiden Bräuten ein Paar ehrbarer
Frauen geworden sind, die Frauen Germania und Italia....und
so mag man das Bild denn auch schlichtweg die Freundschaft
nennen, wenn ihm einmal ein Name gegeben werden soll."
(Katalog S.60)
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