Karl Herzog hat in "Die Gestalt des Menschen in der Kunst und im Spiegel
der Wissenschaft" angeblich den David von Michelangelo genau vermessen.
Auf S. 125 schreibt er: "Wir sehen daher die Körperformen exakt
nach dem Prinzip der klassischen anthropometrischen Proportionslehre geschaffen."
Und er geht dabei ins Detail, stellt u.a. 8 Kopfhöhen und 10 Gesichtslängen
fest und sieht die Mitte zwischen Scheitel und Fußsohle präzise
an der Gliedwurzel. Er zeigt dies allerdings nur an einem Foto (Abb.links)
der oberen Hälfte des David auf. Eine Seite vorher bringt er die Gegenüberstellung
einer Gesamtansicht (Abb. rechts, bei Herzog ohne die Maßlinien)
mit der Fotografie eines Sportlers. Ich habe mir die Mühe gemacht den
Abstand vom Scheitel zur Gliedwurzel auf das Foto der Ganzdarstellung zu
übertragen und nach unten zu verdoppeln. Ich mußte leider feststellen,
daß sich die Behauptung von Herzog an seiner eigenen Abbildung nicht
nachvollziehen läßt. Woran das liegt, gibt mir Rätsel auf.
Das auftauchende Meßproblem hat sicher zu tun mit der Perspektive
in der fotografischen Abbildung. Weil die Aufsicht auf den Fuß
relativ stark ist ergibt sich zwischen Ferse und Zehen ein erheblicher,
aber nur scheinbarer Höhenunterschied. Bei ebenso starker Untersicht
zum Kopf ist dessen höchster Punkt, der Scheitel, nur recht ungenau
bestimmbar. Der Haaransatz, den man für die Bestimmung der Gesichtshöhe
braucht ist bei der Frisur, die Michelangelo gewählt hat, ohnehin nur
zu erahnen. So bleibe ich bei meiner Annahme, daß Michelangelo seinen
David nicht nach dem klassischen Kanon proportioniert hat. Der einzige Grund,
der mir hierfür einfällt, ist eben die Höhe der Figur in
Bezug auf einen realen Betrachter. Falls er dieses Problem nicht berücksichtigt
haben sollte, müßte man zur Feststellung gelangen, daß
ihm die Messung, also das absolute Maß über die Anschauung ging.
Das würde mein Bild von Michelangelo aber schwer erschüttern. |