Bluescreen und Animation in der Videoarbeit

von Uli Schuster, 1999
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In den 1960er Jahren kam der Bluescreen bei Hollywoodfilmen als Tricktechnik in Mode. Im Brereich des Schulfilms hat diese Technik bis in die 90er Jahre meines Wissens keine Rolle gespielt. Erst durch die Verbindung von Computertechnologie und Videobild wurde das Verfahren auch auf schulischer Produktionsebene möglich. So ist der gute, alte Schulfilm heute auch nicht mehr, was er einmal war! Video hat dem Schmalfilm längst den Garaus bereitet und das hat medienpädagogisch doch erhebliche Konsequenzen in Bezug auf die Produktionsweise genauso wie auf die Gestaltung und Rezeption als Medium. An den Videoproduktionen des Luitpold-Gymnasiums München wird das sichtbar.
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Spaß an der Bewegung
Am 28. Januar 1999 feierten wir am Luitpold-Gymnasium München das zehnjährige Bestehen unserer Video & Computer Arbeitsgemeinschaft. Seit 1989 habe ich an dieser Schule mit mehreren Schülergenerationen und einem wachsenden Medienarsenal auch in mehreren Generationen -von VHS bis Umatic und vom Amiga 1000 bis zum Pentium Rechner- Video produziert, und es war uns eigentlich immer klar, daß wir Video machen wollten und nicht Film. Nicht unbedingt so, wie in den 1970er Jahren, mit wackelnder Kamera, pumpendem Zoom und ungeschnitten von Anfang bis zum bitteren Ende. Es sollte schon Video sein auf der technischen Höhe der Zeit, mit fliegenden Logos, animierten Titeln, weichen Blenden und schnellen Schnitten, halt all dem Schnickschnack eines zeitgemäßen Video-Editing, wie man das täglich vom Fernsehen geboten bekommt. So lag es nahe, daß wir uns eher an MTV als am Kinofilm orientierten, dass wir eher Clips als Filme machten. Nicht Erzählkino sollte herauskommen, sondern visuelle Poesie.
Programmatisch für diese Arbeit und deshalb auch Titel für unseren Jubiläumsabend war unser Video von 1994 "TRIP TO FANTASIA" . Dieser Clip war nach mehreren Versuchen der Beweis, daß man sogar bei den bayerischen Schulfilmern in Marktheidenfeld Erfolg haben kann mit einem Video, das keine Geschichte erzählt, sondern wie ein Gedicht bewegte Bilder und animierte Sequenzen aneinanderreiht, rhythmisch und assoziativ verknüpft mit Musik. "Softeis für die Augen" dichtete einer der Germanisten von Marktheidenfeld damals. Den Schülern jedenfalls schmeckte es, denn sie verliehen dem reichlich mit Animationen, geklautem, gesampeltem und verfremdetem Material gespickten "Trip" den Publikumspreis.
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Arbeit am 'Konzept'
Der Vorwurf der Konzeptlosigkeit hat meine Schüler damals nachhaltig irritiert. Der nächste Clip sollte wenigstens einen erzählerischen Rahmen haben. Heraus kam unser erstes und bisher einziges Sexvideo: "MÄDCHEN"
Die Geschichte lieferte das Leben: Charme, ein schulbekanntes Mädchen hat in der Zeitschrift Mädchen für einen Fotoroman Model gespielt. Das heizt die Phantasie der Buben an. Insbesondere die von Mucho - der ist alles Andere als ein Macho! Was ihm das Leben nicht gibt, will er sich aus dem Computer holen. Doch als die Phantasie endlich richtig kalibriert ist, fährt die Mutter dazwischen...
Ein halbes Jahr bastelten wir erst einmal an einem Programm mit Arbeitstitel "Cybersex", mit dessen Hilfe Mucho sich am Bildschirm seine Traumfrau formatieren und zum Cyberleben erwecken konnte. Das bedeutete: Digitalisieren, animieren, Bildschirm-Layout gestalten und interaktive Buttons programmieren. Im Video sieht man davon gerade mal ein paar Sekunden. Selbstverständlich blieben wir beim Muster des Musikclips. Die Botschaft sollte sich allein übers Bild vermitteln. Damit auch die Filmleser" zu ihrem Recht kämen, ließen wir das Video mit fünf gesprochenen Sätzen beginnen, bevor Prince den Ton übernahm und den Rhythmus bestimmte mit "eye wanna melt with u"
Einige filmische Probleme waren zu lösen: Wie macht man es, daß der Leser einer Lovestory gedanklich in den Roman eintaucht? Wie verwandelt man im Film eine animierte Barbiepuppe in ein lebendiges Mädchen? Zum Glück schauen Schüler Musikclips an. Bei MTV gibt es für fast jedes filmische Problem eine Lösung, wenn man lange genug sucht. Und zumindest der Lehrer hat dann am Ende etwas gelernt, was noch nicht gegen die Qualität des Unterrichts spricht. Medienanalyse wird dann besonders fruchtbar, wenn man eine Sequenz Einstellung für Einstellung, Bild für Bild studiert. Und nicht zuletzt ist es der Versuch des Nachmachens, aus dessen notwendigem Scheitern und Modifizieren man lernt, wie man es auch machen kann. Originalität entsteht nicht aus Unwissendheit. 
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Neue Wege in der Animation: von 2D nach 3D
1996 trat eine neue Generation Videomacher an. Ihr Erstlingswerk war die High-Tech Schlacht zwischen zwei Computerfreaks, die ihre Rechner gegeneinander als Waffen richteten, sich über den Bildschirm jagten und schließlich gegenseitig zu Pixelwolken auflösten. "BOOMBASTIC" , so der Titel des Videos, wurde zum Beginn einer neuen Generation von "Film". Hatten wir uns bis dahin nur mit zweidimensionaler Animation zufrieden gegeben, wuchsen bei den drei Autoren Bartosz Grudziecki, Andy v. Arb und Moritz Mayerhofer nun die Ansprüche an Gerät und Programm bis an die Grenzen des in der Schule Machbaren: 3-D-Animation und digitaler Videoschnitt mußten her. Das war 1997 im Schulfilm absolutes Neuland.
Eine Wand im Zeichensaal ist mit blauem Tuch faltenfrei bespannt. Die Kamera steht auf dem Stativ in ca 5m Abstand. Während vorne im Raum der Kunstunterricht in einer 11. Klasse abläuft, dirigiert der Regisseur Bartosz nacheinander einzelne Schüler vor dem Bluescreen: "Mach irgendwas!" "Geh’ zwei Schritte nach rechts und dreh’ dich dann um!" So ähnlich klingen seine Anweisungen. Nacheinander nimmt er sich zirka zehn Schüler, drei Referendare und seinen Kunstlehrer gleich dreimal in unterschiedlichem Outfit vor.
Was so entsteht, wird im Video zu einer Massenszene in einer riesigen Flughafenhalle montiert. Die Architektur hat Moritz entworfen, der Regisseur hat davon erst ein Bild gesehen. In die 3-D Szene muß Moritz als nächstes ca. 60 "Dummies" einbauen, das sind Rechtecke, die ohne Belegung mit Textur völlig unsichtbar blieben. Auf die Oberflächen dieser Dummies werden später die Figuren "aufgeklebt", die gerade im Zeichensaal aufgenommen wurden. 
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Dazu wird das Videomaterial digitalisiert, und in kleine Schnipsel (pro Person) zerlegt. Übrig bleibt ein bewegtes oder statisches Bild, das sich in die 3-D Szene importieren läßt, dabei vergrößert oder verkleinert, gedreht und gespiegelt werden kann und schließlich als "Textur" auf die Dummies geklebt wird. Mit Hilfe der Maske befreit der Rechner zuletzt das Video von seinem blauen Hintergrund und macht damit die Oberfläche des Dummy unsichtbar. Durch diese 3-D Szene kann nun der Computer eine Kamerafahrt berechnen. Steht der virtuellen Kamera ein Dummy im Weg, dann fährt sie rücksichtslos durch ihn hindurch. Videoausschnitt als AVI (DIVX kodiert 3,48 MB)
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Wie die Verständigung und die Koordination der Schüler untereinander klappte, das ist mir heute immer noch ein Rätsel. Als Lehrer meint man vielleicht, so etwas funktioniert nicht ohne ein Drehbuch, ohne einen präzise ausgearbeiteten Drehplan, ohne Rollenverteilung zwischen Autor, Produzent und Drehteam. Und oft scheint es daran wirklich zu scheitern, daß es nicht gelingt derartige Strukturen aufzubauen. Bei meinen drei Filmern sieht das Skript für ihr Video"KATHARSIS"aus wie ein Text, aber es liest sich wie das verschlüsselte Traktat einer Geheimloge. Der Drehplan ist verteilt auf diversen Zetteln, die ich gelegentlich überall in unserem kleinen Studio verstreut unter der Tastatur des Rechners, am Fensterbrett oder am Boden auflese. "Braucht ihr das noch?" "Nee, das ist’n alter, könn’ se wegschmeißn!" Mit Abstand betrachtet waren diese Zettel der Weg zu ausgefeilten Pictureboards, die Moritz, als der versierteste Zeichner, für die nächsten Filmprojekte Einstellung für Einstellung entwarf. Die 3-D-files wurden von Moritz zu Hause in Lightwave erstellt und auf ZIP Disketten in die Schule mitgebracht, wo der Rechner dann Wochenenden lang die Animationen errechnete und meist bei Frame 67 oder 428 abstürzte. Dann wurde stunden- und nachmittagelang der Fehler gesucht und immer gefunden. Ganz eigenartig und in ihrer Abstraktheit schwer vorstellbar ist die Produktion des "filmischen" Anteils vor dem Bluescreen, wie ich ihn oben beschrieben habe.

Manchmal existierten vor dem Filmen der Aktion und der Personen nur sehr vage Vorstellungen von dem Raum, in dem sich alles abspielen soll, etwa als Zeichnung oder auch als Gittermodell ohne gerenderte Oberflächen im 3-D Programm. So blieb die Arbeit spannend bis zu dem Punkt, wenn nach zeitaufwändiger Rechnerei eine erste Vorschau der Szene in einem 6x6 cm großen Screen auf dem Bildschirm begutachtet werden konnte.

Als wir vor 10 Jahren mit Animation anfingen, haben wir noch die Frames gezählt. Eine anim mit 100 Frames war schon eine ganz stolze Leistung. Als in den frühen 90er Jahren Festplatten als Speichermedien erschwinglich und unumgänglich wurden, zählten wir Sekunden. Animationen im Minutenbereich waren schon äußerst selten. Eher schon entstanden Videos wie "Mädchen" oder "Boombastic" , in die mehrere kleine Animationen eingebunden waren. "Katharsis" ist eine Animation mit einer Spieldauer von 17 Minuten.

Schüler, die "Animation" auf diese Art betreiben, gehen an die Grenze des momentan in der Schule filmisch vorstellbaren und lassen letztlich auch Video hinter sich zurück. Die Zukunft von Video heißt "Animation".

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Tipps
Den Stoff für unsere Bluescreen haben wir aus dem Kaufhaus. Fahnentuch 1.50m breit. In zwei Bahnen wird er übereinander an eine Steckwand geheftet.
Nach der Theorie muß sich die Farbe unterscheiden von den Tönen der Gegenstände vor der Bluescreen. Der Kontrast zur Hautfarbe ist wichtig, also könnte man auch ein grünes Tuch nehmen. Die Schauspieler müssen in ihrer Kleidung die Hintergrundfarbe meiden.
Wir haben die besten Erfahrungen ohne zusätzliches Licht gemacht und in weitest möglichem Abstand der Schauspieler vor der blauen Wand. Diese wirkt nämlich selbst wie eine Lichtquelle und wirft blaue Reflexe auf die Körper davor. Auch harte Schatten, die die Figuren auf den Hintergrund werfen, stellen immer ein Problem dar und müssen durch ein weiches Licht vermieden werden.

Das Ausschneiden führt in der Regel nicht zu glatten Rändern. Somit sind die Konturen der in den 3-D Hintergrund eingestanzten Bilder ein Hauptproblem. Vernünftige Video Schnittprogramme haben eine Funktion, die diese Konturen softet. In der Beziehung ist Premiere von Adobe anderer Software überlegen.
Unsere ersten Versuche führten stets zu einer deutlich sichtbaren 'Aura' um die ausgeschnittene Figur herum.

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Exkurs zur Geschichte der Bluescreen Technik
In den 1960er Jahren kam der Bluescreen bei Hollywoodfilmen als Tricktechnik in Mode. Den Nachteil dieser Maskierungstechnik konnten wir bei unseren Videoversuchen auch feststellen: Der blaue Hintergrund wirft auf die vor ihm stehenden Objekte und agierenden Personen blaues Reflexlicht. Beim Ausfiltern von Blau führt das stets zu einem wahrnehmbaren Effekt an den Konturen der Vordergrundobjekte, einer Zone der farblichen Unbestimmtheit, einem Flimmern, einem Lichtschein. In den Disney Studios hat man deshalb in der Mitte der 60er Jahre ein Verfahren entwickelt, das diesen Nachteil vermied, den "Sodium Process". Dieses Verfahren arbeitete mit einer Spezialkamera mit Strahlenteiler (Technicolor) und zwei verschieden empfindlichen Filmmaterialien. Hitchcock hat es für "Die Vögel" (Bild) angewendet. Wenn Tippi Hedren beispielsweise mit dem Boot über die Lagune fährt, dann passiert das im Studio vor einer gelben Wand. Dieses Natriumgelb läßt sich in der Kamera durch ein Prisma aus dem Lichtspektrum auf einen eigenen Film umlenken. Dieser zweite Film ist ein Schwarz-Weiß-Film und zeichnet nur die leuchtende Wand auf, vor der sich das Aufnahmeobjekt befindet. Er liefert somit eine präzise Maske, in die sich nach Umkehrung das Hintergrundbild einkopieren läßt.
Was im filmischen Prozeß wegen einer höchst komplizierten, umständlichen und teueren Technik dem Schulfilm verwehrt bleiben mußte, rückte mit Hilfe der Videotechnik seit den 80er Jahren zunehmend in den Bereich des Möglichen. Zunächst waren es Videomischer, die über den Chroma-Key genannten Prozeß das "Ausstanzen" einer beliebigen Farbe auf Knopfdruck ermöglichten. Das Chroma-keying hat allerdings wie das Bluescreen-Verfahren an den Genzen des ausgestanzten Bereichs ein deutliches Flimmern hinterlassen, kleine und dünne Objekte (z.B. Haare) waren nicht mehr aufzulösen und wurden 'verschluckt'. Zudem liebt die elektronische Stanze 'elektronisch' möglichst reine Farben, die im Videobild extrem 'künstlich' und Realitätsfremd aussehen. Bei unseren oben beschriebenen Versuchen mit Video und Computer kam eine spezielle Art des Videomischers zum Einsatz, ein Genlock. Die Amigas arbeiteten mit einem Bildformat, das eine aus einer Palette von 256 beliebig wählbare Farbe 'transparent' stellen konnte für ein dahinter liegendes Videobild. Auf dieser Basis ließ sich ein statisches oder auch bewegtes Computerbild einem mit der Kamera aufgenommenem Videobild überlagern. Als Trick ließ sich dies am besten dann verwenden, wenn der Realismus des vielfarbigen Videobildes in Richtung der 256 Farben des Computerbildes gebrochen wurde. Deshalb ließen wir bei "Trip to fantasia" auch die Realbilder durch farbliche Filter und Solarisationseffekte laufen. Die geringe Auflösung des Computerbildes war nicht nur an den Farben ersichtlich, sondern zeigte sich auch an den Konturen der gestanzten Objekte durch eine sichtbare Pixilierung der Konturen.
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Literatur
Link zu einer Seite beim Südwestfunk Baden-Baden "Wissen im SWR" vom Mai 1998. Darauf kann das Video "8 vorbei - 13 zu spät" von B. Grudziecki, A. von Arb und M. Mayerhofer geladen und angesehen werden als Publikumspreisträger der Sendung Tape That im Mai 1998: 
http://www.wissen.swr-online.de/tt/_tt_indx.htm dort wählen-> Videos  das führt zu einem Archiv, dort suchen Mai 1998
Übrigens finden sich dort bei "Wissen im SWR" weitere Tips zur Lichtregie, zur Maske, zu Digitalkameras.

Link zu einem hervorragenden Aufsatz über digitales Video: "Was ist digitaler Film" von Lev Manovic
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/film/6109/1.html