Seminar Gymnasialfach Kunsterziehung                                                          Methodenfragen
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Das Unterrichtsgespräch
Philologen - Wortfreunde - nennen sich die Lehrer gern selbst, und das kommt wohl davon, daß sie das Wort in geschriebener und gesprochener Form als die wesentliche Grundlage ihres Tuns ansehen. Im Kunstunterricht tritt das Tun gleichberechtigt neben das Wort, aber das kann einem nicht ersparen, mit dem einzelnen und mit der Klasse das Gespräch zu pflegen, Absichten, Aufgaben, Übereinkommen, Korrekturen über die verbale Kommunikation auszutauschen.
Abbildungen aus Raffael, "Schule von Athen"

von Uli Schuster

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Der Dialog als Lehrgespräch: These und AntitheseWer sich als Kunsterzieher über Formen des Unterrichtsgesprächs informieren möchte, findet in der Fachdidaktik wenig Brauchbares. Hier muß auf die Literatur der allgemeinen Didaktik zurückgegriffen werden. Ältere Didaktiken (z.B. Aebli: Grundformen des Lehrens, Stuttgart 1971), handeln das Problem ab als Methodik des Erzählens und Referierens.
Ich nenne hier nur einige Stichpunkte:
Klären und Erklären; ausmalen lassen; Stellung beziehen lassen; wiederholen lassen; dialogisieren; dramatisieren; freier Vortrag - auswendig gelernter Vortrag - Vorlesen.
Dies alles sind Lehrmethoden, über die die allgemeine Didaktik sich Gedanken macht, wo man sich Rat und Hilfestellung holen kann. Je weiter man historisch in der Didaktik zurückgeht, desto elementarer erscheint die Lehrerfrage als methodisches Mittel des Unterrichts. Auch wenn sie noch niemals Herbart oder Diesterweg gelesen haben, können Sie an sich feststellen, daß Sie wesentliche Teile ihres eigenen Unterrichtsgesprächs über Fragen an die Schüler zu entwickeln versuchen. Dabei hat die Reformpädagogik bereits vor hundert Jahren dem Frageunterricht den Kampf angesagt. Es kann darum nicht verkehrt sein sich selbst zu fragen, wie und warum man einen Stoff in die Kinder hinein oder aus den Kindern heraus mit Hilfe von Fragen transportieren will. Viele der unbedachten Fragen an die Schüler wirken hilflos und blockieren das Gespräch mehr, als sie es fördern.

Franz Huber (Allgemeine Unterrichtslehre, Heilbrunn 1972) schreibt zum Frageunterricht: 

Der Weg des Erkennens durchläuft Stufen"Im Frageunterricht nimmt der Lehrer..einen Gedanken nach dem anderen her; er spricht ihn aber nicht als Aussagesatz, sondern formt ihn in eine Frage um. So ergeben sich in unserem Beispiel folgende Fragen: 
1. wo wächst die Tulpe? 2. Wann blüht die Tulpe? 3. Was hat die Tulpe statt der Wurzel? 4. Woraus besteht die Zwiebel?"
Huber kommt zu folgenden Feststellungen über diese 'Methode':
"1. Der Frageunterricht verurteilt den Schüler zur Passivität: Er nimmt ihm viele Möglichkeiten zum selbständigen Denken und fordert von ihm vielfach bloßes Mit- und Nach-Denken."
Ich möchte dazu folgende Beobachtung ergänzen: Wenn der Lehrer einmal in eine solche kleinkarierte Fragerei hineingerät, neigt er vielfach dazu, immer kleinkarierter - sprich enger -  in seinen Fragen zu werden, bzw. bei einem Ausbleiben von Antworten diese selbst zu geben oder sie dem Schüler in den Mund zu legen:
"Was hat die Tulpe statt der Wurzel? Na, was hängt denn da unten dickes dran? Na, du weißt das doch, das ist die .....
die Zw..... na wer sagt's?"
"2. Der Frageunterricht verläuft für den Schüler ohne innere Spannung und auch den Lehrer beraubt er der Möglichkeit eines wirklich lebensnahen und schülernahen Unterrichts.
3. Den ausgesprochenen Frageunterricht ablehnen kann nicht bedeuten, auch die Lehrerfrage als Unterrichtsmittel verwerfen. Es gibt Lehrerfragen, die so gut Denkanstöße sind, wie die formellen Unterrichtsimpulse."
Huber setzt gegen die Lehrerfrage die Schülerfrage. Schülerfragen kann man provozieren, oft kommen sie jedoch spontan. Dann zeigen sie meist an, daß ein Schüler am Stoff angebissen hat. Der Lehrer sollte sich davor hüten, eine Schülerfrage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen. Es ist auch nicht immer fair, Schülerfragen zur Beantwortung an die Klasse weiterzureichen. Man muß unterscheiden, ob der Schüler direkt eine Bewertung vom Lehrer haben möchte, oder ob er lediglich ein Problem in den Raum stellt, wie das der Lehrer oft mit Fragen tut.

Zur Technologie der Lehrerfrage nennt Huber drei Regeln:

"1. Die Lehrerfrage sei sprachlich richtig, d.h. sie bringe das richtige Fragewort in richtige Form an der richtigen Stelle.
2. Die Lehrerfrage sei logisch richtig, d.h. sie sei eindeutig oder wenigstens so bestimmt, daß der Schüler die Gedankenrichtung erkennen kann.
3. Die Lehrerfrage sei psychologisch richtig, d.h. sie sei der Leistungsfähigkeit des Schülers angepaßt; deshalb Vorsicht mit Doppel- oder gar Kettenfragen, mit Definitions- oder Entscheidungsfragen."
Zur Frage gehört die Antwort. Didaktisch gesehen stellt sich die Frage, was macht der Lehrer aus der Schülerantwort? Ist sie richtig, kann er weitergehen. In der Regel macht es wenig Sinn, Schülerantworten permanent zu wiederholen, das ist als "Lehrerecho" verpönt. War die Antwort schlecht zu verstehen, muß man sich überlegen, an wem das liegt. War sie zu leise gesprochen oder sind die anderen zu laut? War sich der Schüler nicht ganz sicher, oder hat er mißverständlich formuliert?

Zu einer Bewertung gehören Argumente, BegründungenRichtige Antworten auf schwierige Fragen sollten eine Bewertung erfahren. Diese hat nur dann einen Wert, wenn nicht jede simple Schülerreaktion derart ausgezeichnet wird. Gut! Bravo! Toll! sagt dabei weniger aus als: "Du bringst da einen ganz neuen Aspekt ins Spiel...", oder "Aha, da denkt einer nicht nur mit, sondern läßt sich auch etwas einfallen..." Fragt man nach Meinungen, dann sollte man mit Bewertungen eher zurückhaltend sein. Meinungsfragen sind dazu geeignet, Diskussionen anzuregen, indem man mehrere Meinungen einholt und Argumente suchen läßt. Läßt man Schüler Beobachtungen zusammentragen, etwa bei Bildbeschreibungen, dann kann auch der Tafelanschrieb als Bestätigung einer richtigen Schülerantwort Bedeutung gewinnen. Kann ein Schüler den Satz formulieren, den man ins Heft eintragen läßt? Kontraproduktiv ist es die Schüler nach Antworten suchen zu lassen und dann ihre Mühe mit einem vom Lehrer vorgefertigten Anschrieb, Eintrag zuzudecken.
Zum Frageunterricht gehört meist ein Raumbild, bei dem der Lehrer das Zentrum bzw die Front der Klasse bildet. Er verteilt die Fragen, sammelt die Antworten. Das funktioniert nur, wenn in der Klasse Aufmerksamkeit herrscht. In Arbeitsphasen hinein kann man keine Fragen stellen, bestenfalls kann man dann Vorträge halten oder individuelle Gespräche führen. Soll ein Unterrichtsabschnitt mit der Klasse im Gespräch erarbeitet werden, dann muß auch jeder Schüler sitzen, sich dem Lehrer zuwenden, Tätigkeiten oder Gespräche mit dem Nachbarn einstellen. Man darf also nicht eine Partnerarbeit anregen und dann die Schüler auf den Lehrer zentrieren wollen. Es ist also richtig, den Schülern mitzuteilen, daß nun ein Gespräch mit der Klasse erfolgen soll. In einem weitgehend von Selbsttätigkeit geprägten Unterricht müssen solche Phasen dem Schüler deutlicher gemacht werden als im lehrerzentrierten Unterricht.
Warum und in welcher Form soll mitgeschrieben werden?Die Raumordnung spielt stets eine wesentliche Rolle. Holen Sie die Schüler räumlich von ihrem Arbeitsplatz weg. Versammeln Sie sie um sich, zum Reden braucht man keine Bänke. Soll im Heft mitgeschrieben werden, braucht man Bänke und Hefte. Das Herausnehmen der Hefte während einer Gesprächsphase kann die Gesprächsathmosphäre völlig zerstören, z.B. wenn drei Schüler ihr Heft vergessen haben, und vier einen Stift ausleihen müssen. Der Lehrer muß sich also überlegen, wie er von der Gesprächssituation zum Hefteintrag kommen kann.
Will man vom Frageunterricht wegkommen zur offenen Gesprächssituation und Diskussion, dann ist die nach der Front ausgerichtete Raumordnung zu vermeiden. Die Gesprächsrunde entwickelt sich nicht, wenn sich die Schüler beim Sprechen nicht ansehen können. Beim echten Unterrichtsgespräch kommt dem Lehrer nur noch die Rolle des Gesprächsleiters zu, der die Reihenfolge der Beiträge ordnet, zusammenfaßt, Anstöße gibt. Als Gesprächsanlässe eignen sich nur Themen, die eine Mehrzahl der Schüler auch emotional berühren, so daß sie sich dazu äußern wollen. Wenn Entscheidungen anstehen, ist der beste Zeitpunkt für ein Unterrichtsgespräch gegeben. Eine Feier soll geplant werden, ein Ausflug, ein Projekt soll verabredet werden.
Als Alternative zum Frageunterricht bietet sich der Impulsunterricht an. Er setzt an die Stelle von Fragen Denk- oder Handlungsanstöße. Der Lehrer gibt Impulse in Form von Aufforderungen: 

Beschreib' doch mal!"Berichte! Erzähle! Beobachte!" Fahr du fort! Fasse zusammen! Wiederhole! Erkläre! Begründe! Beurteile! Das glaube ich nicht! Da bin ich anderer Meinung! Nämlich? Und...Dannn So! Soso! Ei! Da schau! Wirklich? Erstaunter  Gesichtsausdruck, Schulterzucken, Pause, Kopf- und Handbewegungen... Schülerbemerkungen: Zweifel, Einwürfe, Fragen... Deuten auf einen Gegenstand, auf eine Zeichnung." 
(Huber S. 151)
Huber unterscheidet nach ihrer Form:
"1. in sprachliche Impulse: Befehl, Aufforderung, Auftrag, Behauptung, Gegenbehauptung, Hinweis, Lehrer- und Schülerfragen, Binde- und Empfindungswörter;
2. in stumme Impulse: Vorzeigen eines Gegenstands. Zeigen auf einen Vorgang, Aufhängen einer Landkarte; Mimik und Gesten; 
ferner nach ihrem besonderen Zweck in warnende und weiterhelfende."

Huber sieht im Impulsunterricht folgende Vorzüge:

"1. Er fördert das selbständige Denken der Schüler...zugleich erhöht er die Schaffensfreudigkeit und das Selbstbewußtsein der Schüler;
2. Er ermöglicht in weit größerem Maße als der Frageunterricht die Pflege des sprachlichen Ausdrucks und des Sprechens...;
3. Er macht aus der Frage - Antwort - Schule eine lebendige Arbeitsgemeinschaft in der alle mithelfen, daß etwas Ordentliches zustande kommt." 

Einige erreicht selbst der geistvollste Dialog nichtWie es dumme Fragen gibt, gibt es allerdings auch dumme Impulse. Denkanstöße und Handlungsanstöße vertragen sich oft nicht. Da kommt es sehr stark auf den geeigneten Zeitpunkt an, ob ein Impuls richtig gesetzt wird. Ankündigungen des Lehrers können als Impulse mißverstanden werden. "Wir gehen dann in den Werkraum hinunter, aber zuerst sollten wir uns noch überlegen..."futsch ist die Klasse. Besser: "Wir besprechen jetzt hier zügig was zu tun ist, so daß wir dann im Werkraum gleich zu arbeiten anfangen können."
Dasselbe: "Ihr könnt schon mal gehen, wenn zwei freiwillige zum Aufräumen dableiben". Oft möchte der Lehrer mit einem Impuls etwas einhandeln, dann darf er nicht mit einem Angebot eröffnen.
Echte Impulse müssen den Schülern einen gedanklichen und einen Handlungsspielraum eröffnen. Der Lehrer muß dann aber auch damit auskommen, daß die Schüler möglicherweise in ihrem Denken und Wollen quer zu seinen Absichten liegen können. Er muß also mögliche Entwicklungen vorausdenken und sich überlegen, was bei ihrem Eintreten zu tun ist. Ohne ein gewisses Maß an spontanen Entscheidungen wird Impulsunterricht bei den Schülern Frustrationen und Aggressionen auslösen und eine nur versprochene Freiheit von den Schülern eingeklagt werden. Impulse setzen so gesehen Vertrauen voraus und sind stärker als Fragen geeignet zu Verantwortung und Selbständigkeit zu erziehen.

Neuere behavioristisch orientierte Didaktiker reihen Frage und Impuls ein unter die Kategorie Verbalverhalten. (Grell, Techniken des Lehrerverhaltens, Weinheim 1990)
Grell unterscheidet zunächst nichtverbale Aspekte des Verbalverhaltens von Elementen des Verbalverhaltens. Erstere sind:

"Sprechtempo, Sprachmelodie, Phrasierung und Artikulation, emotionaler Ausdruck ( Klangfarbe, Tonhöhe, Lautstärke), Länge der Äußerungen, Pausen und Unterbrechungen."

Zu den Elementen des Verbalverhaltens zählen u.a. die Fragen, für deren Unterscheidung er vier Typen herausarbeitet:

1. Kognitive Gedächtnisfragen: hier wird vom Schüler verlangt, Fakten wiederzugeben, die er gelernt hat;
2. Konvergente Fragen: der Schüler muß nachdenken, wenn er die Antwort finden will; die Frage verlangt eine richtige oder angemessene Antwort;
3. Divergente Fragen: die Schüler werden angeregt, eine unbegrenzte Vielfalt von Antworten zu finden, divergente Fragen erfordern kreatives Denken;
4. Evaluierende Fragen: die Schüler sind aufgefordert, Werturteile zu formulieren und zu begründen.

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Barnes, zitiert in Grell, kommt zu folgenden Unterscheidungen:

1.  Faktenfragen
1.1 Fragen nach dem Namen eines Phänomens
1.2 Informationsfragen
1.3 Denkfragen ( fordern vom Schüler, laut zu denken, einen logischen Zusammenhang zu konstruieren oder aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren; Wie- und Warum- Fragen)
2.1 Geschlossene Denkfragen - Zusammenhang muß erinnert werden ( nur eine richtige Antwort)
2.2 Geschlossene Denkfragen - Zusammenhang muß selbst gefunden werden ( nur eine richtige Antwort)
2.3 Offene Denkfragen (viele verschiedene Antworten werden vom Lehrer akzeptiert; es handelt sich um "Pseudofragen", wenn die Formulierung Offenheit andeutet, der Lehrer aber nur eine Antwort akzeptiert)
2.4 Beobachtungsfragen (Fragen über Gegenstände, die im Unterricht zu beobachten sind; die Schüler sind aufgefordert, ihre Wahrnehmungen zu interpretieren)
3.   Offene Fragen, die kein Denken verlangen
4.   Soziale Fragen
4.1 Kontrollfragen (der Lehrer versucht, die Schüler nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen: Könnt ihr mal...?)
4.2  Appellfragen (Die Schüler werden aufgefordert, zuzustimmen, eine Ansicht zu teilen, sich an etwas erinnern; sie können aber ablehnen)

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Zum Schluß noch eine Suggestivfrage:
Ich gehe doch nicht etwa fehl in der Annahme, daß dies alles ist, was Sie sich über das Unterrichtsgespräch von mir erwarten konnten!