Ab
dem 15. Jahrhundert wurden Statuenhöfe bzw. -gärten immer
beliebter und waren seit dem weit verbreitet in Rom. Ausgeschmückt
waren diese Orte mit antiken Inschriften, Reliefs und Skulpturen. Die
Antike galt damals als eine Art Status-Symbol und diente der Selbstdarstellung
wohlhabender Leute. Viele dieser großartigen Sammlungen waren
jedoch kaum so ruhmreich und bedeutend, wie die von Papst Julius II.
(1503-1513), die im Vatikan gegründet worden ist. Diese Sammlung
war in einem Hof, dem sogenannten Belvedere. Er war an eine einfache
Villa von Innozenz VIII. angebaut. Die Qualität der Statuen zog
ein sehr großes Publikum an. Daher wurde der Cortile delle Statue
zu einem stark bewunderten Studienziel vieler Humanisten und Künstler
dieser Zeit.
Grund für das Anlegen einer solchen Sammlung, war der Fund der
sog. Laokoon Gruppe, einer Skulpturengruppe, die den Priester Laokoon
mit seinen Söhnen auf einem Opfer-Altar darstellt, wie sie von
zwei Seeschlangen getötet werden. Diese Skulpturen waren der Grund,
dass Papst Julius II. eine antike Sammlung anlegte. Er versuchte nämlich
zu diesem Zeitpunkt die Vatikanischen Paläste neu zu organisieren
und umzubauen und das höfische Leben an das neue Jahrhundert anzupassen.
So gelang der Torso unter Papst Clemens VII. (1523-1534) oder unter
Pontifikats Pauls II. (1534-1549) in die päpstliche Sammlung. Dort
wurde er dann im Statuenhof des Belvedere aufgestellt und bewundert.
Mit Papst Julius III. (1550-1555) endete die große Zeit des Belvederehofes.
So wurde beispielsweise die Kleopatra in das heutige Gabinetto Quadratto
gebracht und durch eine Figur eines Flussgottes ersetzt. Papst Pius
V. (1566-1572) beschloss sogar die antike Kunstsammlung ganz aufzulösen.
Der Statuenhof bliebt aber durch die Gegenstimmen des Kardinalskollegiums
verschont, unter der Bedingung, dass die Skulpturen hinter einem Verschlag
verborgen bleiben. Der Torso jedoch war immer noch für die Künstler
zu sehen und die einzige Skulptur, die nicht versteckt wurde. Er befand
sich damals auf der Westseite des Hofes. Im 17. Jahrhundert wurde der
Torso in das Zentrum des Cortile verlagert - dort zog er weiterhin die
Blicke der Künstler auf sich.
Papst Clemens XI. (1700-1721) bemühte sich um eine neue Ordnung
des ganzen Hofes und veranlasste die Restaurierung des Laokoon. Der
Torso sollte in Zukunft vor Unwetter geschützt werden. Nach einer
Zeichnung von Carlo Fontanas sollte er in eine Nische gestellt werden,
wo er durch ein Dach geschützt gewesen wäre. Die Skulptur
wurde aber in die Westloggia des Hofes platziert. Diese trug seitdem
den Namen Stanza del Torso. Aus der Sammlung der Britischen Museen gehen
genaueste Details des Aufbaus und Aussehens des Belvederehofs aus dem
18.Jahrhundert hervor. So ist in dieser Zeit der Torso erneut verlagert
worden. Er wurde in den kleinen Saal gebracht, der die heutigen Museo
Chiaramonti mit dem Korridor der Vatikanischen Bibliothek verbindet.
An die Stelle, wo sich der Torso vorher befand kamen nun zwei Statuen
von Flussgöttern. Der Raum wurde dafür extra vergrößert
und umgebaut und trug dann den Namen Stanza dei Fiumi. Auf diese Weise
wurde der Statuenhof zum heutigen achteckigen Cortile Ottagono. Der
Ruhm des neuen Museums war rasch wieder Vergangenheit, nachdem der Krieg
mit Frankreich verloren ging. Durch den Vertrag von Tolentino der von
General Napoleon diktiert wurde, wurden einige Werke aus der Sammlung
beschlagnahmt und nach Paris gebracht. Darunter auch der Torso. Nach
dem Wiener Kongress (1814) gelang es Antonio Canova trotz vieler Schwierigkeiten
die meisten Kunstwerke wieder zurück zu bringen. So konnte der
Torso an seinem angestammten Platz zurückkehren. Jedoch war dies
nicht die letzte Verlagerung. Im Jahr 1973 musste die Statue den Hof
erneut verlassen. Im Sala delle Muse wurde er wiederaufgestellt. Grund
für die Platzierung an diesen Ort war der wachsende Publikumsstrom,
was ein eindeutiges Zeichen für eine sich wandelnde Epoche war.
Allgemein verstand man früher
unter "Torso" in Italien einen Kohlstrunk, das Kerngehäuse
einer Frucht, einen astlosen Baumstamm. Der Begriff "Torso"
wurde in der Renaissance für antike Skulpturen verwendet, bei denen
Kopf oder Körperglieder fehlten. Dieser Begriff hat sich in den
verschiedensten Sprachen durchsetzen können. So nennt man eine
fragmentierte oder unvollständige Figur einen "Torso".
Für Jahrhunderte wussten jedoch Gebildete nur eines unter "Torso"
zu verstehen: der Torso, der im Statuenhof im Belvedere des Vatikanpalastes
ausgestellt war.
Der Name Torso gehört seit fast einem halben Jahrtausend dem Rumpf
eines muskulösen, nackten Mannes. Dieser sitzt auf einem Felsbrocken,
wobei ihm Kopf, Arme und Unterschenkel fehlen, sowie Teile der Brust.
Die Marmoroberfläche ist deutlich erkennbar durch das Wetter beschädigt
bzw. verrieben worden. Trotz alledem hat der Torso immer eine starke
Bewunderung erfahren, obwohl es nur noch ein Bruchstück war. Diese
Figur hatte einen unglaublichen Einfluss auf Künstler - besonders
auf die Phantasie, die die Kunstbegeisterung ins Unermessliche steigerte.
Auch Menschen wie Friedrich Schiller wurden in den Bann des Torso gezogen.
So sagte dieser einst, der Torso sei "ein Triumph", den "die
schöne Kunst Griechenlands über das Schicksal einer ganzen
Erdkugel feiert".
Der Torso wird zum ersten Mal von Cyriacus von Ancona erwähnt,
ein Epigraphiker, der sich in Rom zwischen 1432 und 1434 mit der Inschrift
des Felssitzes befasste: "Apollonios, der Sohn des Nestor, aus
Athen hat es gemacht". Dieser Bildhauer wird in der Geschichte
nie genannt. Obwohl Apollonios ein Unbekannter war, nannte Cyriacus
den Torso eine "singularissima figura" (=höchst einzigartige
Figur). Das Kunstwerk war damals im Besitz des Kardinals Prospero Colonna.
Sie stand in seinem Palast bei Ss. Apostoli auf dem Monte Cavallo (Quirinal).
Um 1500 gehörte die Skulptur einem Bildhauer namens Andrea Bregno,
der sie an einer Mauer aufstellte, was sich als eine große Schwierigkeit
darstellte, da der Sockel stark gebrochen war. Dies ging aus Zeichnungen
hervor, die ein anonymer Künstler anfertigte. Nachdem Bregno 1503
starb, ist der Aufenthalt des Torso für eine gewisse Zeit unbekannt.
Man geht aber davon aus, dass er sich in einer leicht zugänglichen
Sammlung befand. Es ist auch nicht genau bekannt, wann die Figur in
das vatikanische Belvedere kam. In einer ausführlichen Beschreibung
des Statuenhofs vom 28.April 1523 wird der Torso nicht erwähnt.
Jedoch soll ein Rechtsgelehrter ihn 1536 im Belvedere neben den Skulpturen
der beiden Flussgötter Tiber und Nil liegen gesehen haben. Somit
kommt nur der Zeitraum in Frage unter Clemens VII. (1523-1534) oder
unter Paul III.(1534-1549) - wie auch anfangs beschrieben.
Wichtig für die Geschichte ist auch, dass er lange Zeit nur am
Boden lag. Seine Aufstellung zeichnete sich als großes technisches
Problem auf. Nachdem er im Belvedere errichtet worden war, stand er
für viele Künstler sofort als ein Symbol, das an das "Vergängliche
alles Irdischen" erinnert. Daher ist auch zu vermuten, dass er
deswegen nicht "ergänzt", also ausgebessert wurde. Zwar
wurden Zeichnungen von einem vervollständigten Torso angefertigt,
jedoch kam es nie dazu. Selbst Michelangelo wagte es nicht, dieses Werk
zu verbessern. So blieb der Torso die einzige unter den berühmten
antiken Skulpturen in Rom, die nicht ergänzt wurde.
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