Michelangelos Plastiken in Rom (Pietà, Moses, Christus)
von Nicoletta Kriz
 

Als 23-jähriger erhielt Michelangelo Buonarotti von einem französischen Kardinal den Auftrag für die Pietà. Die Pietà ist ein so genanntes „Vesperbild“. Man versteht unter einem Versperbild die Darstellung der Mutter Gottes mit dem Leichnam ihres göttlichen Sohnes auf dem Schoße oder zu Füßen. In der Heiligen Schrift ist nicht erzählt, dass Maria den Leichnam Christi in der Zeit zwischen Kreuzabnahme und Grablegung gehalten habe. Diese Vorstellung ist wohl in der dt. Mystik des hohen Mittelalters entstanden. Ein unbekannter Meister hat um 1300 in Mitteldeutschland den Gedanken in ein plastisches Bild übertragen und auf diese Weise ein Vorbild für viele Wdh. in der Gotik geschaffen. Diese Art von Andachtsbild wurde aus Deutschland nach Oberitalien gebracht, auch in Frankreich wurden Vesperbilder verehrt.
Der franz. Kardinal hat den jungen Michelangelo wahrscheinlich auf dieses Motiv hingewiesen. Den Einfluss des Quattrocento spürt der Betrachter noch bei der Pietà, aber zugleich auch wie sehr sich Michelangelo von diesen Vorbildern befreit hat. Bei dieser Plastik ging seine technische Vollendung, besonders die Politur soweit, wie es vor ihm nur hellenistische Bildhauer und nach ihm wieder Bernini gemacht haben. Michelangelo wollte eine schöne, jungfräuliche, sitzende Maria zeigen, die ihren ausgewachsenen, toten Sohn auf dem Schoß in den Falten ihres Gewandes gebettet hält. Im Gegensatz zur bekleideten Madonna ist der Leichnam nackt. Michelangelo erreichte eine Art von Schönheit und technische Vollkommenheit, wie es der Bildhauer in späteren Jahren nie wieder zu erreichen suchte.
1972 beschädigte zu Pfingsten ein Geisteskranker die Pietà mit einem Hammer und schlägt ihr einen Arm ab. Heute ist sie wieder restauriert, doch aus Sorge vor weiteren Angriffen hat man sie nun hinter Panzerglas gestellt. Die Pietà ist das einzige Werk das er signiert hat: auf dem Schulterblatt der Madonna mit den Worten „Michel Angelus Bonarotus Florentinus faciebat“.

1505 wurde Michelangelo von Papst Julius II nach Rom gerufen und wurde für den Bau seines Mausoleums beauftragt. Er ritt nach Carrera, einen Marmorsteinbruch in Italien, um dort 34 große Marmorblöcke für das gigantische Vorhaben brechen zu lassen.
Der Plan sah vor, dass sich unter einer der Kuppeln des noch nicht gebauten Petersdoms eine mehrgeschossige Kapelle erheben sollte. An der Außenseite dieses Baus sollten 40 große Statuen und Reliefs das Werk Julius II. verherrlichen. Die Wände sollten außerdem Pfeiler tragen, die selber halbmenschlich gebildet waren und vor diese sollten sich Gefesselte winden. Von 1508 an war Michelangelo mehr oder weniger gegen seinen Willen an die Arbeit an der Sixtinischen Kapelle gebunden und konnte nicht an dem Grabmal weiterarbeiten. Nach der Beendigung der sixtinischen Decke, wandte sich Michelangelo sofort dem Marmor wieder zu. Neun Monate später starb Papst Julius II., seine Nachfolger hatte aber andere Pläne für die Kapelle. Die Pläne für die Ausführung des Grabmals wurden mit der Zeit immer bescheidener. Das Großprojekt beschäftigte den Baumeister über vierzig Jahre hinweg. Papst Julius II. liegt nicht in seinem Mausoleum, sondern im Petersdom begraben.
Michelangelo schuf für das Grabmal zwei Sklaven (ein gefesselter und ein sterbender, beide stehen im Louvre), zwei Darstellungen der beiden Frauen des Jacobs (Rachel und Lea) und den Moses.
1532 beschloss man das Grabmal nicht in Sankt Peter, sondern in San Pietro in Vincoli aufzustellen, wo die Plastik des Moses heute immer noch seinen Platz hat. Man vermutet dass Michelangelo schon 1505 in Carrera mit der Figur des Moses begonnen hat. 1513-16 vollendete er ihn dann endgültig. Die Statue stellt Moses dar, vom Berg Sinai herabsteigend, die Gesetzestafeln mit den Geboten des Herrn in der Hand; als er entdeckt, dass das Volk Israel, das er aus Ägyptens Knechtschaft führte, das Goldene Kalb umtanzt. Der Gesichtsausdruck des Moses zeigt die eben empfangene Göttlichkeit und gleichzeitig den unberechenbaren Zorn über sein Volk, das ihn verraten hat. Der Betrachter wird geheimnisvolle Art und Weise von der Statue festgehalten, denn es birgt Ruhe und auch gleichzeitig zornige Gefühlswallungen in sich; es erscheint von jedem Betrachtungspunkt anders: einmal beschaulich, ruhig und besonnen, dann jedoch wieder von der anderen Seite aktiv, beherrscht und herrschend.

Von 1514 bis 1521 schuf Michelangelo für die Kirche Santa Maria sopra Minerva Christus den Auferstandenen. Die in antiker Weise dargestellt nackte Figur, hält das Kreuz umschlungen. „Es sind zwei Urmotive, die Michelangelo, und ihn allein, immer wieder beschäftigt haben: das Emporringen des Körpers aus dem Stein, der sie gefesselt hält, und die Bedrohung durch den Sturz von der Schwere des eigenen Leibes, die die Kraft zu überwinden sucht.“ Genau das trifft hier auch auf den Christus zu: Michelangelo schafft es das Problem der Gewichtsverteilung mit der neuen Form des Christus zu lösen.

 
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