Video Processing/Compositing 
 

von Uli Schuster (April 2003)

Als ich 1994 für einen  Fortbildungslehrgang in Dillingen einen Aufsatz mit dem Titel 'Videoprocessing' schrieb, fand ich für den abzuhandelnden Gegenstand keine bessere Bezeichnung als "Processing", einen Ausdruck, der damals von der fotografischen Dunkelkammerarbeit abgeleitet wurde. inzwischen hat sich in Publikationen zum Thema (z.B. der Hochglanzzeitschrift "didital production" und in den entsprechenden Computerprogrammen, z.B. "After Effects" von Adobe der Terminus "Compositing" etabliert. Adobe übersetzt das sogar ins Deutsche und spricht von "Kompositionen". Da der Begriff Komposition in der bildenden Kunst und insbesondere in der Malerei in unserem Sprachraum belegt ist bleibe ich lieber bei den englischen Bezeichnungen "Compositing" bzw. bei "Processing", einem Ausdruck, den ich der fotografischen Dunkelkammerarbeit entlehnt habe. In der fachdidaktischen Literatur spielt die Materie meines Wissens bislang keine Bedeutung. Allein im Bereich der "digitalen Bildbearbeitung" sind mittlerweile nennenswerte Ansätze zu registrieren, allerdings mit der Beschränkung auf das statische, unbewegte Bild.
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Die Möglichkeit der elektronischen und digitalen Bearbeitung von Video-Bildmaterial - das Video Processing - wurde in den 90er Jahren dem Amateurbereich zugänglich gemacht durch erschwingliche Geräte, die auch von Schülern leicht zu beherrschen sind. Computer, Videomischer, Genlock, Digitizer, Programme zur Bearbeitung von statischen und bewegten Bildern wie Photoshop und After Effects (Adobe) geben dem Videofilmer eine breite Palette von Effekten oft einfach per Knopfdruck an die Hand, die auch einem langweiligen Unterrichtsvideo einen Hauch von MTV verleihen und schwache Videobilder optisch in einer Weise parfümieren können, daß positive Publikumsreaktionen garantiert sind. Ein Unterricht, der mit diesen Effekten umgehen möchte, muß sich deshalb schon der Frage stellen, was mit derartigem Processing erreicht werden soll außer "Effektvideografie", oder anders gesagt, welche Wirkung die Effekte auf unsere Wahrnehmung haben.

Foto, TV und Video haben in den Augen von Schülerinnen und Schülern immer noch höchsten Realitätswert und damit Wahrheitsgehalt, sie gelten als objektiv. Dies ist vermutlich deshalb so, weil das sichtbare Bild gleichsam Resultat eines interesselosen technischen Apparats ist, und weil es in vielen Merkmalen der Wahrnehmung durch unsere Augen entspricht. Eine Vielzahl technischer Tricks ist denn auch aus dem Interesse heraus entstanden, diesen Illusionismus möglichst ungebrochen aufrechtzuerhalten.

Der Unterschied zwischen der vorgestellten, illusionistischen Wirklichkeit von Videobildern und der Realität, die uns umgibt, ist für den Intellekt leicht einzusehen. Wenn wir Bilder, diesen Abzug von Realität, jedoch zur Orientierung in unserer Lebenswelt verwenden, reflektieren wir nicht, daß Orientierung nur als Vorstellung Wert hat und im Vorstellungswert auch vielfältige Möglichkeiten der Desorientierung liegen.

Effekte wollen, ganz im Gegensatz zu Tricks, wahrgenommen werden. Ähnlich wie bei der Copy Art handelt es sich bei den Videoeffekten im technischen Sinn um Bildstörungen. Videoeffekte stellen uns das Bild vor Augen als das, was es ist: Eine Ansammlung von farbigen Lichtpunkten, von Zeilen, Tonflächen, die sich bewegen und ihre Form fließend verändern. Effekte sind wie technisch schlechte Bilder gleichermaßen geeignet, den bildlichen Illusionismus von Foto und Video aufzubrechen. Man sieht ihnen ihre Künstlichkeit, Manipuliertheit in einer so klaren Weise an, daß sie von vielen Betrachtern ganz selbstverständlich als "künstlerisch" taxiert werden.

Effekte brechen den bildlichen Illusionismus insbesondere dann, wenn sie nicht für sich alleine stehen, sondern wenn der Vorgang des Hinübergleitens vom Realbild ins verfremdete Bild vor Augen geführt wird. Das aber ist mit dem bewegten Videobild einfacher zu machen als mit anderen grafischen Medien.

In den Augen dessen, der vom Bild Orientierung in der Realität erwartet, muß der verfremdende Effekt zwangsläufig als billige und auf Emotionalisierung gerichtete Manipulation erscheinen, die die Realität verdeckt. In der Tat heben Videoeffekte die filmische Illusion auf und setzen an die Stelle einer ausschnitthaften, imaginären Realität eine abstrakte Sinnlichkeit: Erlebniswelt an Stelle von Lebenswelt.

Videoeffekte, insbesondere im Verbund mit dem harten Sound von Rockmusik, simulieren Zustände sinnlicher Überreizung. An die Stelle sensibler Wahrnehmung einer vorgestellten Wirklichkeit tritt auf seiten des wahrnehmenden Subjekts eine Überflutung von Auge und Ohr bis hin zu einer Blockade, einer Betäubung   = Anästhesie der Sinne, auf der Seite des wahrgenommenen Objekts eine Auflösung in seine Elementarstruktur aus Farbe, Helligkeit, Form.

Vor dem Hintergrund der hohen Akzeptanz der mit allen Effekten hergestellten Videoclips bei den Jugendlichen und der Möglichkeit, diese Effekte mit nicht zu teuren Geräten im Unterricht selbst zu generieren und damit ein Stück durchschaubar zu machen, stellen wir an unserer Schule, einem math.nat. Gymnasium, seit Anfang der 90er Jahre z.T. im Unterricht, vor allem aber in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften Videoclips her. Das Ausloten der technischen Möglichkeiten ist stets ein Experiment. Einige der dabei angewendeten Effekte werden im folgenden beschrieben. Sie wurden bis gegen Ende der 90er Jahre entweder im Videomischer erzeugt durch Regelung der analogen Signale oder unter Ausnutzung des im Mischer enthaltenen digitalen Bildspeichers, oder sie werden heute im Computer generiert über die Bearbeitung der digitalen Bildsignale mit Hilfe spezieller Software (Filter), die entweder in Videoschnittprogrammen enthalten sind, oder etwa seit Ende der 90er Jahre in eigenen Programmen gebündelt wurden, z.B. in After Effects von Adobe.

Mix
Mit zwei Kameras und einem  Mischpult lassen sich in der Live-Aufnahme durch Hin- und Herschalten zwischen den beiden Quellen Schnittwirkungen zwischen Nah und Weit herstellen, ohne die dazwischen notwendigen Nachregulierungen der Kameras im Bild sichtbar werden zu lassen. Dieses Verfahren macht es besonders leicht, Schnitte rhythmisch gut zu setzen, da bei der Umschaltung von einer auf die andere Kamera keinerlei zeitliche Verzögerung wirksam wird. Aufgezeichnet wird die gesamte Abmischung auf einem Bandgerät, also nicht in den Camcordern. Pumpende Zoombewegungen und ermüdende Hin- und Her- Schwenks werden so vermieden.

Dort, wo sich der schnelle und harte Einstellungswechsel aus stimmungsmäßigen und motivischen Gründen verbietet, ermöglicht Video, insbesondere in dieser Betriebsart mit zwei Kameras an einem Mischer, auch den weichen Schnitt. Auch der Film bedient sich gelegentlich der Überblendung, vor allem dann, wenn eine Verschiebung der Zeit- oder Realitätsebene angedeutet werden soll. Beim Film ist die Bildüberlagerung ein konstruierter Vorgang, der in seiner bildhaften Auswirkung nicht unmittelbar bei der Aufnahme wahrzunehmen ist. Anders beim Video Editing mit zwei Kameras oder zwei Zuspielern, etwa einem Videoplayer oder Computer, über einen Mischer. Dabei ist der Überblendvorgang direkt per Regler zu steuern und kann unmittelbar auf einem Kontrollmonitor mitverfolgt werden. Der Mischvorgang führt zwei Bildquellen, zwei Bildobjekte, zwei Bildräume, zwei Zeiträume etc... zwei Einstellungen für einen beliebig langen Moment, so zusammen, daß ein drittes Bild entsteht. Der Vorgang des Überblendens läßt ein Bild gleichsam aus dem anderen entstehen, in einem Prozeß der Verdrängung und Auflösung. Die beiden im Mischbild vereinten Bewegungen agieren einen Moment miteinander und etablieren auf diese Weise eine eigene, neue Bewegung. Die Formen und Farbtöne durchdringen sich für einen Augenblick. Das "Ringen" geht immer gleich aus: Das eine Bild geht unter, das andere taucht auf. Der Vorgang hat etwas Magisches an sich; in einem dokumentarischen Film ist die Überblendung schwer vorstellbar, ihr haftet etwas Erzählerisches an.
Videobeispiel aus "Trip to Fantasia"(1994): 13,6 MB DIVX   klick ins Bild!

Wipe
Der elektronische Videoschnitt kennt neben Edit und Mix auch das Wiping. Elektronisches Wiping geht hervor aus der Möglichkeit der Bildschirmteilung. Wischblenden und Bildteilung sind auch vom Film bekannt. Bildteilung kennt man z.B. aus dem Film "Bettgeflüster" (Pillow Talk, 1959), in dem Doris Day und Rock Hudson, beide in ihrem eigenen Bett liegend, durch Wände getrennt, aber über Telefon miteinander verbunden, streiten. Pikanterweise tun sie das jedoch auf der geteilten Leinwand unmittelbar nebeneinander, wie in einem Bett liegend.

Wipe setzt an die Schnittstelle zweier Einstellungen eine Bildteilung, nicht unbedingt statisch, wie bei Bettgeflüster, sondern auch dynamisch, als einen eigenständigen Bewegungsvorgang. Die Handbewegung am Regler des Videomischers entspricht exakt der Bewegung, mit der das neue Bild über das alte gezogen wird. Das Bild ist ein Vorhang, der ein anderes Bild verdeckt. Das Videobild erhält durch die Bewegung des Wiping die Materialität eines bedruckten Blattes. Die vorgegebenen Bewegungsmuster für diese Form des Bildwechsels sind so vielseitig, daß es mühsam wäre, sie alle aufzuzählen. Horizontal/vertikal/diagonal, einfach/mehrfach, von links/von rechts/aus der Bildmitte - 99 Wischmuster sind garantiert. Wozu braucht man sie?

Die Geste des Wiping etabliert ein Bild auf eine einfache Art und Weise, indem es ein anderes Bild verdeckt und sich im Austausch an seine Stelle setzt. Bilder, die so eingeführt sind, möchte man auch gern wieder so durch andere ausgetauscht sehen. Wiping setzt den bewegten Bildern eine starke Eigenbewegung entgegen und wirkt damit unauffälliger bei wenig bewegten Bildern oder Stand- bzw. Stillbildern. Wiping lebt vom Kontrast der Bilder. Bei zwei gleichen oder sehr ähnlichen Bildern wirkt der Effekt nur wie eine laufende Zeile. Bei sehr verschiedenen Bildern macht das Schieben neugierig: gierig nach Neuem, man wartet schon aufs nächste Bild.

Das schnelle Blättern in total verschiedenen Bildwelten erhält einen besonderen Reiz, wenn ein Schuß erotisierende Spannung und ein wenig dramaturgische Unterforderung, sprich Langeweile, mit im Spiel ist. Insofern befriedigt Wiping ein ähnliches Bedürfnis der Wahrnehmung wie das Channel-Zapping  mit der Fernbedienung. Die Bildschirmteilung und das Wiping machen aus der Flut und Verwebung verschiedenartigster Bilder und Handlungszusammenhängen endgültig ein den Inhalten gegenüber nahezu gleichgültiges Webmuster, das dennoch seine Wirkung auf unsere Wahrnehmung nicht verfehlt:
"Auf dem heimischen Bildschirm kommt es zu einer Konkurrenz der Bilder, wo ein Bild das nächste vejagt, sich an seine Stelle setzt und wieder vom nächsten verdrängt wird. Eine nicht abreißende Kette von Bildern, die den Blick fesseln, ohne ihm etwas zu "sehen" zu geben." (Paech, S.245)
Man könnte auch noch weiter gehen und sagen: Die Bilderflut füttert den Blick, ohne ihn zu sättigen - das ist wie Popcorn, das man so lange verschlingt, wie Nachschub da ist.

Mosaik
Mosaik macht aus dem durch einen entsprechenden Videomischer laufenden Videobild eine Pixelgrafik, bei der die Punktgröße stufenlos - bei billigeren Geräten in vorgegebenen Stufen - veränderbar ist. Grafisch gesehen entspricht das der Wahl einer wahrnehmbaren Reduktion der Bildauflösung. Konturen verschwinden, Formen lösen sich auf, der Bildraum verflacht und Bewegung wird merklich schematisiert, elementarisiert und stufenartig in Richtungskomponenten zerlegt. Mosaik formuliert wie auch andere Digitaleffekte eine eigenartige Mischung aus bildlicher Illusion und grafischer Desillusionierung. Farbige Punkte, die in ihrem Bewegungsmuster synchron zu den Bildbewegungen verlaufen, bilden Bewegung noch deutlich identifizierbar ab, wo die Auflösung des Bildobjekts unserer nach Erkennbarkeit suchenden Wahrnehmung nur noch geringe Anhaltspunkte für Gestalt und Form gibt.
In primitiver Form kennt man den Effekt aus Fernsehinterviews mit Partnern, die nicht erkannt werden sollen. Den individuellen Zügen einer Person, eines Bildobjekts wird mit Mosaik die Anonymität einer allgemeinen Form gegeben. Unschärfe würde in dieser Beziehung ähnliches leisten. Gerastertes Bauglas in Füllungen von Badezimmertüren vermitteln eine vergleichbare Wahrnehmung.
Eine anderen Anwendung begegnete ich in einem Fernsehfilm über Andy Warhol, in dem sein Portrait während eines Intrerviews und beim Sprechen stufenlos hinüberglitt in eine Pixelgrafik, die das Gesicht zuletzt nur noch aus wenigen Tonflächen unerkennbar bestehen ließ. Das Zwinkern der Augen, die Bewegungen der Lippen beim Sprechen in seiner stockend abgehackten Redeweise lösten auf dem Bildschirm Bewegungen der Tonfelder aus, die sichtlich synchron blieben zu der mit Hall verfremdet wiedergegebenen Stimme. Das war die phaszinierende Metamorphose eines Gesichts in ein abstraktes Bild. 
Videobeispiel: 16 MB DIVX    Klick ins Bild! ("An american Dream" von Kim Evans 1989, London Weekend TV/RM Arts)
Der Effekt als solcher filtert schon in höherer Auflösung Individualität von Personen und Pbjekten aus dem Bild, lässt jedoch atmosphärische Momente, Bewegungen und Rhythmen deutlicher werden, was der Wirkung eines impressionistischen oder neoimpressionistischen Bildes in etwa nahekommt. Mit der Wirkung eines Mosaiks hat der Effekt nur in solchen Fällen zu tun, wo die Auflösung (Pixelgröße) und die Objektgröße so zusammenstimmen, dass die Abbildhaftigkeit klar gewahrt ist. Im Gegensatz zum Steinmosaik betont der Effekt die Umrisse nicht, sondern löst sie auf. Der Mosaikeffekt legt über das Bild eine gleichmäßige Rasterstruktur, die selbst innerhalb homogener Tonflächen noch erkennbar ist. Das entzieht dem Bild unmittelbar seine perspektivische Tiefe und schafft eine flache, gewebeartige Bildtextur.
GIF Animation nach dem Video "lo res", 1992 vom Autor
Vergleichbare Bildeffekte bietet auch die Gobelinweberei, von der schon der Neoimpressionismus von Seurat seine Textur bezog. Frühe Farblithografien kennen die pointillistische Maltechnik, die schließlich in der Druckgrafik zum Raster führte, bei dem allerdings eher die Verschleierung des Bildaufbaus für das getäuschte Auge das Ziel ist. Erst die Pop Art (Lichtenstein) und der Fotorealismus (Close) haben das Bildraster thematisiert, manche gezeichnete Portraitstudien von Chuck Close arbeiten gezielt mit dem Phänomen der Auflösung und zeigen mit dem Mosaikeffekt vergleichbare Bildwirkungen. Ähnliches hat auch der Kubismus durch seine facettenartige Bildstruktur erreicht, insbesondere Delaunays Facetten haben das Eigenleuchten einer Pixelgrafik.
Interessanter als der Effekt selbst scheint mir der Prozess des Hinübergleitens vom Illusionismus in die Gegenstandslosigkeit. Das transportiert eine desillusionierende, vielleicht aufklärerische Botschaft: "Was Du siehst ist die Oberfläche eines Bildschirms, das Bild ist ein mediales Produkt!"

Paint
Paint - ein etwas verunglückter Name für die Isohelie, die Tontrennung am digitalisierten Videobild. Paint filtert aus dem laufenden Videobild regulierbar Tonstufen heraus, und erzeugt damit ein sichtlich im Tonumfang und der Stufung reduziertes und gestuft farbiges Halbtonbild. Die Reduktion des Kontrastumfangs zieht einerseits eine Verringerung des räumlichen Illusionismus nach sich, die Objekte sind nur noch beliebig schwach modelliert. Auf der anderen Seite verstärkt die steilere Gradation die Abgrenzung der Stufen und fährt so zu einer wahrnehmbar linearen Umgrenzung der Tonflächen. Die Tonflächen und ihre Grenzlinien erhalten dadurch ein vom Umriß der Objekte weitgehend unabhängiges Eigenleben. Sie stellen das Objekt erkennbar dar, aber mittels sehr eigenwillig geformter, arabeskenhaft verselbständigter, fließend bewegter Trennlinien und homogener, sich in ihrer Form dauernd verändernder Tonflächen.
Videobeispiel: "Se feiß" 1993 vom Autor       13 MB DIVX   klick ins Bild!
Von der Umrißlinie eines räumlichen Objekts weiß man, daß sie ihr Objekt nur in bestimmten Fällen ausreichend charakteristisch abzubilden vermag. Beim Kopf z.B. ist der frontal abgenommene Umriß weniger aussagekräftig als die Profillinie. Das gilt analog für die Grenzlinien von Tonflächen in einer Isohelie. In bestimmten Fällen, abhängig von der räumlichen Beschaffenheit des Körpers, von seiner Ausleuchtung und von der steten Gradation, verraten die Trennlinien der Tonflächen viel (oder wenig) vom Objekt. In der Grafik wird man daher stets solche Fälle wählen, die das Objekt gut charakterisieren. In der bewegten Videografik wird gerade das Spiel an der Grenze von Erkennbarkeit und flächig - umrißbetontem Eigenleben, das Verschwinden der Erkennbarkeit und ihr erneutes Auftauchen zu einem interessanten Wahrnehmungsereignis. Wie bei Mosaik verschwinden auch bei Paint individuelle Merkmale. Farbe wird in ihrem Umfang reduziert, kontrastiert stärker, der Eindruck von Buntheit verstärkt sich, je nach Farbumfang des Ausgangsbildes ist jedoch auch die Reduktion auf einen Farbbereich möglich. Die Bildwirkung erinnert stark an Warholsche Siebdrucke oder an den farblich reduzierten und linear betonten Stil früher Farbdrucke.

Freeze, Still
Auf unserem Mischer präsentiert sich Freeze in zwei verschiedenen Effekten: Stroboskop und Still. Der technische Vorgang dürfte derselbe sein. Aus dem laufenden Videobild greift sich der im Mischer eingebaute digitale Bildspeicher Einzelbilder heraus, die er so lange einfriert, bis seinem Programm gemäß das nächste Bild an der Reihe ist. Der zeitliche Abstand der gegriffenen Bilder ist dabei variabel.

Strobe zerhackt demgemäß die Bewegungen im Bild in merklich ruckartig wiedergegebene Schritte. Der Bewegungsfluß wird dadurch zerstört und zerlegt, was zu einer "mechanisierten" Wirkung führt. Das Anhalten der natürlich fließenden Bewegung an einem Punkt erscheint wiederum als ein desillusionierender Vorgang. Er reißt die Wahrnehmung aus einer dann deutlich spürbaren Antizipationshaltung, einer geistigen Vorausschau. Mit Strobe mechanisierte Bewegungsabläufe haben Gemeinsamkeiten mit aktuellen Tanzformen. Das mag zusammenhängen mit Erfahrungen unter dem Stroboskop-Effekt von Discolichtern. Robot, Breakdance, Techno und Rap kennen solche Bewegungselemente.
Eine erste Begegnung mit dem Effekt verschafften mir Alfred Hitchcock 1963 im Titelvorspann zu „The Birds“, wo die auf s/w reduzierten Silhouetten der Vögel nervös und in ihren Bewegungen abgehackt über die Leinwand flatterten und dabei die Schriftzüge des Trailers auslöschten. Im Bruch mit dem zeitlichen Kontinuum wird das Zerhacken als Verzögerung wahrgenommen. Bei zwei Kameras im Mixbewtrieb kann man die Bewegung in Echtzeit mit ihrer Vergangenheitsform im Strobe-Modus unmittelbar konfrontieren wie in einer Zeitmaschine. Deutlicher als bei Zeitlupe oder Zeitraffer wird damit der zeitliche Versatz und die Entrückung in eine andere Dimension wahrgenommen. Bei Hitchcock entstand der Effekt meiner Vermutung nach als Rotoscope Animation auf dem gleichen Weg, wie die Mehrzahl der Vögel überhaupt als Filmtrick in die Spielszenen kopiert wurden. Während die Montage das möglichst verschleiern sollte, ist im Vorspann durch eine Reduktion in der filmischen Auflösung der Trick zum Effekt stilisiert, bei dem man vereinzelt sogar gemalte Vögel zu erkennen glaubt. Im "Making Of" ist eine Millie Weinbrenner genannt als rotoscope-painter.
Videobeispiel: Vorspann "The Birds" 1963        25 MB DIVX   klick ins Bild!

Computertricks: Morphing
Im Gegensatz zu Effekten zielen Tricks auf Täuschung der Wahrnehmung und sind damit auf die bildliche Illusion angewiesen. Als Ausdrucksmittel sind sie daher weniger interessant, sie führen hin zu einem erzählerischen Interesse am Medium. Morphing ist ein Animationstrick. Spezielle Bildbearbeitungssoftware berechnet automatisch eine Überblendung von einem Ausgangsbild zu einem Endbild. Im Unterschied zum üblichen Bildmix ist der Vorgang jedoch überlagert von einer Verzerrung des Bildschirms, die dazu dient, festzulegen, welcher Punkt des Ausgangsbildes in welchen Punkt des Endbildes zu überführen ist. Die Berechnungszeiten sind enorm, aber das Ergebnis ist reinste Videozauberei. Der Trick wurde bekannt durch ein Musikvideo von Michael Jackson, "Moonwalker", wo er in einen schwarzen Panther verwandelt wurde. Inzwischen hat der Kinofilm davon reichlich Gebrauch gemacht, z.B. beim "Terminator", aber auch in der Fernsehwerbung sind seither immer wieder Metamorphosentricks zum Einsatz gekommen.
Videobeispiel: 11 MB DIVX   klick ins Bild! (Michael Jackson Black and White)

Genlocking und Blueboxing
Die Funktionsweise eines Genlocks wurde an anderer Stelle beschrieben. Indem es das Computerbild (Grafik oder Animation) dem laufenden Videobild überlagert, stellt es eine kaum aufzählbare Palette von Videotricks zur Verfügung: Eine Computergrafik kann ins Videobild eingeblendet werden, z.B. Schrift für einen Filmtitel; die Computergrafik kann als Maske über das Videobild gelegt werden; eine Animation kann dem laufenden oder stehenden Videobild überlagert werden.
Ein Genlock ist keine Bluebox. Die Möglichkeit, aus dem laufenden Videobild z.B. den Hintergrund auszufiltern, ist damit nicht gegeben. Als Transparent kann immer nur ein Teil des Computerbildes definiert werden. Outa Space, ein Tanzvideo, begann mit der hier zu sehenden Einstellung. Ein Hirn macht sich beim Musikhören selbständig und beginnt den Kopf wie ein Satellit zu umkreisen...Die Animation wurde auf dem Amiga erstellt und der Videoaufnahme mit dem Genlock beigemischt.
Loneliness zeigt einen Versuch live zur Musik auf dem Bildschirm zu malen. Der pulsierende Punkt wurde als Animation zur Musik getaktet und auf Video ausgespielt. Die gezeichnete Bewegung wurde dann mit dem Genlock der ersten Aufnahme überlagert.
Videobeispiel: "Outa Space", 1993          5,5 MB DIVX   klick ins Bild!                                  Videobeispiel:"Here comes loneliness", 1992

Texturemapping
Erstellt man mittels eines Raytracing-Programms dreidimensionale Objektsimulationen, dann bestehen diese immer aus zwei weitgehend unabhängigen Schichten, einem Vektormodell und einer Textur. Texturemapping bedeutet, daß sich vektoriell berechnete Objekte auch als Animationen mit beliebigen Oberflächen versehen lassen, so wie sich bei einem Textverarbeitungsprogramm ein einmal eingegebener Text in verschiedenen Schriftarten darstellen läßt. Tricktechnisch schafft dies ungeheure Möglichkeiten der Verfremdung von Oberflächen, wie man das aus der Malerei der Surrealisten kennt. Wegen der zeitlich aufwendigen Rechenarbeit haben wir solche Tricks bisher weitgehend vermieden.
Der Film Katharsis spielt nahezu komplett in einer animierten Kulisse. Der Ausschnitt zeigt eine Verfolgungsjagd in einem Raumschiff, das in einem 3-D-Programm entworfen und mit unterschiedlichen Texturen versehen wurde. Die Schüler wurden im Zeichensaal vor einer mit blauem Tuch bespannten Wand aufgenommen und der blaue Hintergrund später aus dem Video herausgerechnet. Für die Regie ist das ein kleines Problem: Schließlich sollen beide Aufnahmen später übereinandergelegt werden und müssen dann von der Beleuchtung und der Raumlage übereinstimmen. Zur Videoarbeit mit Bluescreen gibt es im KUSEM eine eigene Seite:
Videobeispiel "Katharsis", 1998                 3 MB DIVX   klick ins Bild! 
In einem interessanten Aufsatz über den "Anfang einer neuen historischen Form des Filmischen" schreibt Siegfried Zielinski über diese Methode der Simulation:
 "Eine mathematische Berechnung der unendlichen Komplexität von Lichtgestaltung, der wesentlichen Dimension filmischer Illusionierung, ist bisher nicht vorstellbar. Das Ergebnis ist eine virtuelle Standardbeleuchtung, die wichtige Ursache für den Eindruck der kalten und nackten Nähe der animierten Objekte ist. "( 1991 in Haberl/Schlemmer, Die Magie des Rechtecks, S.54)
Ein Musikvideo von Peter Gabriel, "Steam", enthält eine Sequenz, bei der sich tanzende Körper, zunächst als Videobild gegeben, in bewegte 3-D Simulationen verwandeln, mit eisig glänzenden, ja schmelzenden und feurig lodernden Oberflächen. An einer anderen Stelle verwandelt sich sein Kopf in eine singende 3-D-Simulation, deren Oberfläche sich verändert, hohl erscheint und sich schließlich wie eine leere Haut umstülpt. Es muß nicht extra betont werden, daß derartige Videotricks bei jedem Zuschauer Erstaunen auslösen und auf Jugendliche geradezu faszinierend wirken, werden doch hier im Videotrick am laufenden Bild surreale Phantasien eines Dali oder Magritte lebendig.

Literatur:
Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart 1991

Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, Frankfurt 1970

Hans Beller, Handbuch der Filmmontage, München, 1993, darin die Beiträge von
Gerhard Schumm über: Feinschnitt, die verborgene Arbeit an der Blickregie, und Joachim Paech, Wiping - Godards Videomontage

Georg Haberl / Gottfried Schlemmer, Die Magie des Rechtecks, darin der Beitrag von Siegfried Zielinski, Nicht mehr Kino, nicht mehr Fernsehen

Auf der Internetseite von Benjamin Happl finde ich leider ohne Autorenangabe einen sehr ausführlichen Text "Der Morphingeffekt unter besonderer Berücksichtigung von TERMINATOR 2 und BLACK OR WHITE"
http://www.filmkritiken.org/texte/morphing.html

Im KUSEM gibt es eine eigene Seite über "Bluescreen und Animation in der Videoarbeit"

Alle hier verwendeten Schülerfilme sind beschrieben im KUSEM "Arbeitsgemeinschaft Video&Computer"